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90a.1. Necrologe

Bearbeitet von Caroline Horch und Kristina Freienhagen-Baumgardt

KdiH-Band 9

Die hier als Necrologe bezeichneten Handschriften haben ein fundamental anderes Erscheinungsbild als diejenigen, die uns im frühen und hohen Mittelalter begegnen. Diese sind zumeist reine Namenslisten, mitunter mit Zusätzen, die die Stiftung oder das Jahrgedächtnis betreffen. Sie befinden sich in eigens dazu angelegten oder, sehr häufig, in liturgischen Codices. Nach dem Tod eines Mitglieds einer religiösen Gemeinschaft wurde sein Name im Necrolog unter dem Datum seines Todes vermerkt, und zwar unter Auslassung seines Todesjahres, denn nicht das Jahr war für das Gedächtnis von Bedeutung, sondern der Todestag. Die Namen der Verstorbenen des jeweiligen Tages wurden dann während der Messe verlesen. Bilder gab es in diesen Necrologen nicht.

Ganz anders verhält es sich bei den hier vorgestellten illustrierten Necrologen: Bei ihnen sind Bilder unerlässlicher Bestandteil. Ein liturgischer Gebrauch dieser Handschriften ist auszuschließen, handelt es sich bei ihnen doch nicht um eine Abfolge von Namen, die verlesen wurden, um die Anwesenheit ihrer Träger zu evozieren, sondern die Verstorbenen treten uns gewissermaßen entgegen. Die Art der Darstellung, der Inhalt der Bilderfolgen bedingte die commemoratio: Eine Gemeinschaft gedachte ihrer verstorbenen Mitglieder im Nachvollzug ihres Lebens, ihrer Verdienste, aber unter Umständen auch ihres Versagens.

So spiegelt sich beispielsweise in der Raitenhaslacher Gründungsgeschichte fehlerhaftes Verhalten von Äbten in der bildlichen Darstellung wider. 1397 hatte der Raitenhaslacher Abt das Recht auf Mitra und Stab erhalten. Zwei Äbte tragen jedoch keine Mitra auf dem Kopf, sie liegt vor ihnen auf der Brüstung (München, Cgm 1824, 24v und 25r, Nr. 90a.1.2.). Aus Aufzeichnungen aus dem Kloster lässt sich entnehmen, dass diese Äbte wegen Verfehlungen ihres Amtes enthoben worden waren.

Die gemalte Raitenhaslacher Gründungsgeschichte führt die Entstehungsgeschichte des Klosters sowie die daran maßgeblich beteiligten Personen vor Augen. (Nr. 90a.1.1., Nr. 90a.1.2.) Es geht hier um historische memoria, darum, an die Gründung des Klosters im 12. Jahrhundert zu erinnern und zugleich darauf hinzuweisen, dass die Menschen im räumlichen Umfeld die neue Gründung akzeptiert hatten, was seinen Ausdruck in Geldspenden fand oder in der Übergabe von Kindern als Oblaten an das Kloster. Am Ende der Gründungsgeschichte in Bildern steht die Zusage der geistlichen Gemeinschaft, das Totengedächtnis zu begehen. Mit dieser Gründungsgeschichte korrespondieren die Bilder der verstorbenen Wohltäter und Äbte, eingeleitet von der Abbildung der ersten Stifter, Wolfger von Tegernbach und seine Frau Hemma. Bei allen Bildern ist das Todesjahr angegeben, Tag und Monat fehlen.

Darüber hinaus gibt es noch ein lateinisches konventionelles, nicht illustriertes Necrologium Raitenhaslacense mit der Auflistung der Todestage. Es wurde in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts angelegt und bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts geführt (München, Clm 1025, gedruckt bei Herzberg-Fränkel [1904] S. 260–283).

Die memoria, die das Kloster seinen Stiftern zusagte, war sehr umfänglich: Anhand des Necrologs konnte ihrer in liturgischem Kontext gedacht werden, die Bilder schufen eine Gemeinschaft der herausragenden Stifter. Zudem befanden sich im Klosterbezirk außerordentlich viele Grabstätten von adeligen und weltlichen Stiftern. Sehr deutlich tritt hier die Reziprozität zutage. Das Kloster sagte seinen Wohltätern umfassendes Gedächtnis zu. Die Bestattung von Laien innerhalb des Kirchengebäudes war immer schon umstritten, dafür wählte man andere Plätze, die für Bestattungen sehr geeignet waren, beispielsweise den Kreuzgang oder das Paradies vor der Kirche. Von einer Befolgung der Vorschrift für Zisterzienserklöster, keine weltlichen Personen zu bestatten, kann in Raitenhaslach nicht die Rede sein (Müller [1922]). Es handelte sich um Orte, die stark frequentiert waren, so dass die dort Bestatteten sich der Fürbitten vieler diese Stellen passierenden Menschen sicher sein konnten.

Ganz anders verhielt es sich mit den Nürnberger Hausbüchern (Nr. 90a.1.3.). Zwar sind auch in ihnen Bilder Verstorbener zu sehen, aber der gesamte Kontext ist ein vollkommen anderer. Die Zwölfbrüderstiftung war keine religiöse Gemeinschaft, der Lebensraum war kein Kloster und es ist nicht überliefert, dass das Buch mit den Handwerkerdarstellungen in liturgischem Kontext verwendet wurde. Aber auch wenn die Organisationform des Zwölfbrüderhauses sich von derjenigen der Klöster unterschied, lassen sich gewisse Parallelen aufzeigen: Die aufgenommenen Handwerker lebten in der Stiftung zölibatär, und sie mussten bestimmte Gebete sprechen können (Sauer [2011b] S. 84). Auf den Bildern werden einzelne Handwerker sowie in der Landwirtschaft und im Handel tätige Männer bei der Verrichtung der Arbeit gezeigt. Über die Inszenierung des dargestellten Handwerks gelangt der Betrachter durch den Text (Name des Handwerkers) zu einer konkreten Vorstellung des verstorbenen Menschen. Die Darstellungen der Handwerker in den Nürnberger Hausbüchern sind keine Porträts im neuzeitlichen Sinn, und dennoch meint der Betrachter ein Individuum zu sehen (Sauer [2011b] S. 117), evoziert doch die Zusammenfügung von Bild, Name und Todesdatum die Vorstellung eines bestimmten Menschen. Memoria wirkt individualisierend.

Im Allgemeinen sind auf den Bildern und in den Inschriften keine Einzelschicksale geschildert. Ausnahmen bestätigen jedoch, dass man in speziellen Fällen durchaus um Eigenheiten des einen oder anderen Bruders wusste. Beispielsweise erfährt man über den Bruder Jorg Urlaub (23r), der mehrere Berufe ausgeübt hatte, er habe nur knapp vier Monate in der Stiftung gelebt und sei zu morgens frue todtt for seinem pedtt gefunden worden, ist doch den abentt zuvor frisch und gesuntt schlaffen ghangen. Darüber hinaus überliefert die Inschrift, Jorg Urlaub sei mitt Jederman fridlich und ainiig gewest. Das war durchaus erwähnenswert, denn nicht immer kamen die Brüder miteinander aus (Wagner [1978] S. 54f.).

Die der Stiftung bei den Raitenhaslacher Adeligen entsprechende Leistung der Nürnberger Handwerker war ihre Arbeit, das Handwerk, das sie verrichtet hatten. Dem Gebet und Totengedächtnis der Mönche des Klosters entsprach das Bild im Hausbuch in Nürnberg. Es wäre darum verfehlt, die Zwölfbrüderstiftung mit einem Altenheim zu vergleichen. Die ehemaligen Handwerker durften sich einer Leistung, eines Verdienstes gewiss sein und der Lohn oder vielmehr die Gegengabe dafür war ihr Bild im Hausbuch. Bei allen Unterschieden zwischen den Raitenhaslacher Stifterdarstellungen und den Mendel’schen Brüderbildern gibt es eine Gemeinsamkeit: Sie wenden sich an einen Betrachter, der durch den Abgleich von Bild und Text imstande ist, eines ganz bestimmten Menschen in einer gegebenen Gemeinschaft zu gedenken. Sowohl das von der Gemeinschaft angebotene Gedenken als auch die Leistungen der Stifter und Brüder kommen in der Verbindung von Bild und Text zum Ausdruck. Anders als in den Bruderschaftsbüchern (Untergruppe 90a.2.) illustrieren die Bilder in den Necrologen das do-ut-des-Prinzip, auf dem das mittelalterliche Totengedächtnis basiert. Gemeinsam ist den Necrologen von Raitenhaslach und der Mendel-Stiftung darüber hinaus auch, dass sie einerseits als Zusage gesehen werden konnten, das Gedächtnis der Verstorbenen zu wahren, und andererseits demonstrierten, wie sich diese memoria gestaltete: im Gedenken des einzelnen Menschen.