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56. ›Herzog von Braunschweig‹

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 6

Ein »Herzog«, zuweilen auch nur ein »Herr«, von Braunschweig tritt als Hauptfigur in einer Reihe von Werken auf, die sich in Gattung und Inhalt deutlich unterscheiden, deren Verbreitung sich auch außerhalb des deutschen Sprachraumes in tschechischen und russischen sowie skandinavischen Beispielen belegen lässt (vgl. Der tschechische Bruncvík, und: Der russische Bruncvik. Das Abenteuer mit dem Löwen nach der erweiterten russischen Redaktion, ins Deutsche übersetzt von Winfried Baumann. In: Die Romane von dem Ritter mit dem Löwen, hrsg. von Xenja von Ertzdorff unter redaktioneller Mitarbeit von Rudolf Schulz. Amsterdam 1994 [Chloe. Beihefte zum Daphnis 20], S. 593–607 und S. 608–611; Behr/Blume [1995] S. 197–214, mit anschließenden Textbeispielen).

Die schriftliche Überlieferung in deutscher Sprache zum ›Herzog von Braunschweig‹ setzt mit einem Minne- und Abenteuerroman des 13. Jahrhunderts, dem ›Reinfried von Braunschweig‹ ein, der lediglich fragmentarisch in einem nicht illustrierten Manuskript des frühen 14. Jahrhunderts in der Gothaer Forschungsbibliothek erhalten ist (Cod. Memb. II 42; »Reinfried von Braunschweig«. Faksimileausgabe der Handschrift Memb. II 42 der Forschungsbibliothek Gotha, hrsg. von Wolfgang Achnitz. Göppingen 2002 [Litterae 120]). Die Anzahl der Schriftzeugen bleibt auch für die beiden weiteren ›Herzog von Braunschweig‹-Dichtungen unikal. Sowohl das Märe, dessen Verfasser sich Augustijn nennt, als auch das Gedicht des ansonsten nicht nachgewiesenen Michel Wyssenherre sind nur in je einem Exemplar aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts überliefert.

Beide Werke präsentieren stark divergierende Erzählverläufe. Wyssenherres Gedicht ›von dem edeln Hern von Bruneczwigk als er uber mer fuͦre‹ verknüpft Motive des Aventiureromans mit einer Heimkehrsage. Der Held bricht aufgrund eines Traumes zu einer Reise zum Heiligen Grab auf und hinterlässt seiner Ehefrau beim Abschied die Hälfte eines Ringes. Während der Orientreise sind diverse Aventiuren zu bestehen. Aus einem Meer, in dem die Schiffe stecken bleiben, kann der Herzog entkommen, indem er sich eingenäht in eine Pferdehaut von einem Greifen in dessen Nest entführen lässt. Ein Löwe, dem er im Kampf gegen einen Drachen beisteht, wird zu seinem treuen Gefährten und Begleiter. Während einer Floßfahrt auf einem reißenden Fluss durch eine geheimnisvolle Edelsteinhöhle kommt er in den Besitz eines kostbaren Karfunkels. Gemeinsam mit dem Löwen gelingt es ihm, Vogelmenschen zu überwinden und eine Jungfrau aus deren Gefangenschaft zu befreien. Schließlich erfährt er im Traum vom Teufel, dass seine Ehefrau am nächsten Tag eine zweite Ehe eingehen wolle, und erklärt sich zu einem Pakt mit ihm bereit, wenn dieser ihn zu seiner Burg bringe. Mithilfe der Hälfte des Ringes gelingt es ihm schließlich noch rechtzeitig, sich als rechtmäßiger Gatte auszuweisen.

Einige dieser Erzählmomente, die Abenteuerfahrt, die Begleitung durch den treuen Löwen und die rechtzeitige Heimkehr zur Gattin charakterisieren auch die Prosafassung einer ›Historie von einem Herrn von Braunschweig‹, die in dem um 1479 entstandenen Historienbuch Jörg Stulers vorliegt (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB XIII 10, 341v–346v, Ausgabe: Gisela Kornrumpf: Der ›Herr von Braunschweig‹. Eine unbeachtete Prosaerzählung aus dem Historienbuch des Deutschordensritters Jörg Stuler. In: Vom Mittelalter zur Neuzeit. Festschrift für Horst Brunner. Hrsg. von Dorothea Klein zusammen mit Elisabeth Lienert und Johannes Rettelbach. Wiesbaden 2000, S. 479–485). Sehr ähnliche Aventiuren hat auch der ›Herzog Ernst‹ zu bestehen (vgl. Stoffgruppe Nr. 57.).

Im Märe vom ›Herzog von Braunschweig‹, das wohl auf ein niederländisches Original zurückgeht, auf welches die Autornennung Augustijn zu beziehen sein dürfte, steht hingegen eine Liebesgeschichte im Mittelpunkt: Der junge Sohn des Herzogs von Braunschweig begibt sich nach Spanien, um dem König im Kampf gegen die Heiden beizustehen. Durch eine List werden die Heiden besiegt und bieten dem jungen Herzog ihre Dienste an. Zurück am spanischen Hof entbrennt er in Minne zur Königin, erkrankt deswegen, kann jedoch genesen, als die Königin ihn ihrer Gunst versichert. Nach weiteren ruhmreichen Taten bei den Heiden, kehrt er erneut zurück und findet die Königin minnekrank vor. Das Paar verabredet eine getrennte Flucht. Nach kurzem gemeinsamem Glück des inzwischen tot geglaubten Paares beschließt die Königin, den Herzog zu verlassen, und reist mit einem Kaufmann nach Bagdad, wo sie Erzieherin seiner Kinder wird. Auf einer Reise nach Spanien erleidet dieser Schiffbruch und erhält Hilfe vom Herzog, der inzwischen nicht nur Nachfolger seines Vaters, sondern auch des verstorbenen Königs von Spanien wurde. Als Dankesgeschenk fertigt die Königin sechs kostbare Bildteppiche an, die ihre Liebesgeschichte zeigen, und lässt sie vom Kaufmann dem Herzog überbringen, der sich selbst und seine Geliebte darauf erkennt, worauf das Liebespaar im Rahmen eines Festes wiedervereint werden kann.

Der Vollständigkeit halber sei schließlich die spätmittelalterliche Ballade des ›Herrn von Braunschweig‹ erwähnt, die zur niederländisch-niederdeutschen Liedgemeinschaft gehört. Abweichend von den bisher erwähnten Werken wird die Hauptfigur hier deutlich negativ gezeichnet. Ein Kind, das im Gebiet des Herrn von Braunschweig Hasen und Kaninchen jagte, wird deswegen vom Eigentümer am Galgen hingerichtet. Der Mörder wird jedoch am nächsten Tag mit durchschossenem Hals gefunden, drei Tauben führen das Kind in den Himmel, drei Raben den Herrn in die Hölle (vgl. Rolf Wilhelm Brednich, in: 2VL 3 [1981], Sp. 1135–1136, die dort genannte Handschrift ehemals Cheltenham, Bibliotheca Phillippica, Cod. 6781, jetzt Brüssel, Bibliothèque Royale, ms. II 2631).

Erst in Werken des 16. Jahrhunderts wie z. B. in den Meisterliedern des Hans Sachs findet eine ausdrückliche Identifizierung des Protagonisten mit dem historischen Heinrich dem Löwen (gest. 1195) statt (Edition: Behr/Blume [1995] S. 123–162), weshalb die ältere Forschung wiederholt versucht hat, aus einem Teil der oben angeführten Werke, dem ›Reinfried von Braunschweig‹ und Wyssenherres Gedicht, eine »Heinrichssage« oder »Braunschweigsage« zu rekonstruieren (z. B. Hoppe [1952]).

Die Bildfolgen zu Wyssenherres Gedicht und Augustijns Märe unterscheiden sich schon allein aufgrund des je eigenen Erzählverlaufs grundlegend voneinander. Während die kolorierten Federzeichnungen der Stuttgarter Wyssenherre-Handschrift vor allem die Abenteuer des Herzogs inszenieren, bietet das Heidelberger Manuskript des Märe bis auf eine Kampfszene überwiegend Gesprächs- und Verhandlungsszenen und führt einen durchweg elegant-modisch gekleideten Jüngling als Hauptfigur vor. Trotz deutlicher stilistischer Unterschiede ist den nahezu zeitgleich entstandenen Codices ein im Verhältnis zur jeweils geringen Textmenge beträchtlicher Umfang der Bildausstattung gemeinsam: zwölf ganzseitige Bilder bei 20 Blättern in Augustijns Märe und neun großformatige Illustrationen im nur 13 Blätter umfassenden Gedicht Wyssenherres. In beiden Handschriften werden auf diese Weise repräsentative Ansprüche artikuliert.

Die Geschichte vom ›Herzog von Braunschweig‹, wie Wyssenherres Gedicht sie schildert, besaß auch außerhalb der handschriftlichen Überlieferung größere Bekanntheit und ist in der Wandmalerei und auf Wirkteppichen bebildert worden, wie neben schriftlichen Nachrichten auch einige erhaltene Objekte bezeugen. Zum einen zeigen zwei von wohl ehemals drei zusammengehörigen Bildteppichen mittelrheinischer Provenienz (jetzt Basel, Historisches Museum), die um 1460–1470 entstanden, insgesamt sieben Szenen, vom Abschied von der Gattin bis zum Bau des Floßes (vgl. Leonie von Wilckens, in: Heinrich der Löwe [1995], Kat. Nr. H9, S. 115–117, mit Farbabb.). Vom Ende des 15. Jahrhunderts stammt ein umfangreicher Freskenzyklus im Haus Kerngasse 18, in Karden (Landkreis Cochem/Mosel), das vermutlich zum Besitz der Reichsfreiherren von Pyrmont gehörte, meist aber als »ehemalige Stiftsschule« bezeichnet wird. Dort sind zwölf Szenen ganz und eine teilweise erhalten (Karen Delaplace: Freskenzyklen in Karden an der Mosel: Susanna und die beiden Ältesten – Heinrich der Löwe. Aachener Kunstblätter 62. 1998–2002 [2003], S. 201–237, mit Abb. aller Szenen).

Editionen:

Walther Seehaussen: Michel Wyssenherres Gedicht »Von dem edeln hern von Bruneczwigk, als er über mer fure« und Die Sage von Heinrich dem Löwen. Breslau 1913 (Germanistische Abhandlungen 43), S. 149–173. – Karl Hoppe: Die Sage von Heinrich dem Löwen. Ihr Ursprung, ihre Entwicklung und ihre Überlieferung. Bremen 1952, S. 85–99 (Abdruck nach Seehaussen). – Vestigia Leonis – Spuren des Löwen. Das Bild Heinrichs des Löwen in der deutschen und skandinavischen Literatur. Texte des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hrsg., übersetzt und erläutert von Hans-Joachim Behr und Herbert Blume. Braunschweig 1995 (Schriften der Literarischen Vereinigung Braunschweig 42), S. 52–121. – Edition von Augustijns Märe fehlt.

Literatur zu den Illustrationen:

Augustijn: Johanna Thali: Sinnwidrigkeiten. Interferenzen zwischen Text, Bild und Layout in der Erzählung vom ›Herzog von Braunschweig‹ in der Heidelberger Handschrift 1012. In: Finden – Gestalten – Vermitteln. Schreibprozesse und ihre Brechungen in der mittelalterlichen Überlieferung. In Verbindung mit Susanne Köbele und Klaus Ridder hrsg. von Eckart Conrad Lutz. Berlin 2012 (Wolfram-Studien 22), S. 467–512.

Wyssenherre: Wolfgang Metzger: Greifen, Drachen, Schnabelmenschen – Heinrich der Löwe in erzählenden Darstellungen des Spätmittelalters. In: Heinrich der Löwe (1995) S. 15–28, besonders S. 16–20, Abb. 1–8; Leila Werthschulte: Heinrich der Löwe in Geschichte und Sage. Heidelberg 2007, S. 211–258.