56. ›Herzog von Braunschweig‹
Bearbeitet von Kristina Domanski
KdiH-Band 6
Ein »Herzog«, zuweilen auch nur ein »Herr«, von Braunschweig tritt als Hauptfigur in einer Reihe von Werken auf, die sich in Gattung und Inhalt deutlich unterscheiden, deren Verbreitung sich auch außerhalb des deutschen Sprachraumes in tschechischen und russischen sowie skandinavischen Beispielen belegen lässt (vgl. Der tschechische Bruncvík, und: Der russische Bruncvik. Das Abenteuer mit dem Löwen nach der erweiterten russischen Redaktion, ins Deutsche übersetzt von
Die schriftliche Überlieferung in deutscher Sprache zum ›Herzog von Braunschweig‹ setzt mit einem Minne- und Abenteuerroman des 13. Jahrhunderts, dem ›Reinfried von Braunschweig‹ ein, der lediglich fragmentarisch in einem nicht illustrierten Manuskript des frühen 14. Jahrhunderts in der Gothaer Forschungsbibliothek erhalten ist (Cod. Memb. II 42; »Reinfried von Braunschweig«. Faksimileausgabe der Handschrift Memb. II 42 der Forschungsbibliothek Gotha, hrsg. von
Beide Werke präsentieren stark divergierende Erzählverläufe. Wyssenherres Gedicht ›von dem edeln Hern von Bruneczwigk als er uber mer fuͦre‹ verknüpft Motive des Aventiureromans mit einer Heimkehrsage. Der Held bricht aufgrund eines Traumes zu einer Reise zum Heiligen Grab auf und hinterlässt seiner Ehefrau beim Abschied die Hälfte eines Ringes. Während der Orientreise sind diverse Aventiuren zu bestehen. Aus einem Meer, in dem die Schiffe stecken bleiben, kann der Herzog entkommen, indem er sich eingenäht in eine Pferdehaut von einem Greifen in dessen Nest entführen lässt. Ein Löwe, dem er im Kampf gegen einen Drachen beisteht, wird zu seinem treuen Gefährten und Begleiter. Während einer Floßfahrt auf einem reißenden Fluss durch eine geheimnisvolle Edelsteinhöhle kommt er in den Besitz eines kostbaren Karfunkels. Gemeinsam mit dem Löwen gelingt es ihm, Vogelmenschen zu überwinden und eine Jungfrau aus deren Gefangenschaft zu befreien. Schließlich erfährt er im Traum vom Teufel, dass seine Ehefrau am nächsten Tag eine zweite Ehe eingehen wolle, und erklärt sich zu einem Pakt mit ihm bereit, wenn dieser ihn zu seiner Burg bringe. Mithilfe der Hälfte des Ringes gelingt es ihm schließlich noch rechtzeitig, sich als rechtmäßiger Gatte auszuweisen.
Einige dieser Erzählmomente, die Abenteuerfahrt, die Begleitung durch den treuen Löwen und die rechtzeitige Heimkehr zur Gattin charakterisieren auch die Prosafassung einer ›Historie von einem Herrn von Braunschweig‹, die in dem um 1479 entstandenen Historienbuch Jörg Stulers vorliegt (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB XIII 10, 341v–346v, Ausgabe:
Im Märe vom ›Herzog von Braunschweig‹, das wohl auf ein niederländisches Original zurückgeht, auf welches die Autornennung Augustijn zu beziehen sein dürfte, steht hingegen eine Liebesgeschichte im Mittelpunkt: Der junge Sohn des Herzogs von Braunschweig begibt sich nach Spanien, um dem König im Kampf gegen die Heiden beizustehen. Durch eine List werden die Heiden besiegt und bieten dem jungen Herzog ihre Dienste an. Zurück am spanischen Hof entbrennt er in Minne zur Königin, erkrankt deswegen, kann jedoch genesen, als die Königin ihn ihrer Gunst versichert. Nach weiteren ruhmreichen Taten bei den Heiden, kehrt er erneut zurück und findet die Königin minnekrank vor. Das Paar verabredet eine getrennte Flucht. Nach kurzem gemeinsamem Glück des inzwischen tot geglaubten Paares beschließt die Königin, den Herzog zu verlassen, und reist mit einem Kaufmann nach Bagdad, wo sie Erzieherin seiner Kinder wird. Auf einer Reise nach Spanien erleidet dieser Schiffbruch und erhält Hilfe vom Herzog, der inzwischen nicht nur Nachfolger seines Vaters, sondern auch des verstorbenen Königs von Spanien wurde. Als Dankesgeschenk fertigt die Königin sechs kostbare Bildteppiche an, die ihre Liebesgeschichte zeigen, und lässt sie vom Kaufmann dem Herzog überbringen, der sich selbst und seine Geliebte darauf erkennt, worauf das Liebespaar im Rahmen eines Festes wiedervereint werden kann.
Der Vollständigkeit halber sei schließlich die spätmittelalterliche Ballade des ›Herrn von Braunschweig‹ erwähnt, die zur niederländisch-niederdeutschen Liedgemeinschaft gehört. Abweichend von den bisher erwähnten Werken wird die Hauptfigur hier deutlich negativ gezeichnet. Ein Kind, das im Gebiet des Herrn von Braunschweig Hasen und Kaninchen jagte, wird deswegen vom Eigentümer am Galgen hingerichtet. Der Mörder wird jedoch am nächsten Tag mit durchschossenem Hals gefunden, drei Tauben führen das Kind in den Himmel, drei Raben den Herrn in die Hölle (vgl.
Erst in Werken des 16. Jahrhunderts wie z. B. in den Meisterliedern des Hans Sachs findet eine ausdrückliche Identifizierung des Protagonisten mit dem historischen Heinrich dem Löwen (gest. 1195) statt (Edition:
Die Bildfolgen zu Wyssenherres Gedicht und Augustijns Märe unterscheiden sich schon allein aufgrund des je eigenen Erzählverlaufs grundlegend voneinander. Während die kolorierten Federzeichnungen der Stuttgarter Wyssenherre-Handschrift vor allem die Abenteuer des Herzogs inszenieren, bietet das Heidelberger Manuskript des Märe bis auf eine Kampfszene überwiegend Gesprächs- und Verhandlungsszenen und führt einen durchweg elegant-modisch gekleideten Jüngling als Hauptfigur vor. Trotz deutlicher stilistischer Unterschiede ist den nahezu zeitgleich entstandenen Codices ein im Verhältnis zur jeweils geringen Textmenge beträchtlicher Umfang der Bildausstattung gemeinsam: zwölf ganzseitige Bilder bei 20 Blättern in Augustijns Märe und neun großformatige Illustrationen im nur 13 Blätter umfassenden Gedicht Wyssenherres. In beiden Handschriften werden auf diese Weise repräsentative Ansprüche artikuliert.
Die Geschichte vom ›Herzog von Braunschweig‹, wie Wyssenherres Gedicht sie schildert, besaß auch außerhalb der handschriftlichen Überlieferung größere Bekanntheit und ist in der Wandmalerei und auf Wirkteppichen bebildert worden, wie neben schriftlichen Nachrichten auch einige erhaltene Objekte bezeugen. Zum einen zeigen zwei von wohl ehemals drei zusammengehörigen Bildteppichen mittelrheinischer Provenienz (jetzt Basel, Historisches Museum), die um 1460–1470 entstanden, insgesamt sieben Szenen, vom Abschied von der Gattin bis zum Bau des Floßes (vgl.
Augustijn:
Wyssenherre: