KdiH

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56.2.1. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. poet. et phil. 2º 4; Köln, Historisches Archiv der Stadt, Best. 7050 (Hss.-Fragm.) A 89 [Verbleib unbekannt]; Wallraf-Richartz-Museum, Nr. 109; Nr. 110–111

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 6

Datierung:

1471–1474.

Lokalisierung:

Mudau im Odenwald (Behr [1998] S. 18).

Besitzgeschichte:

Aufgrund der niedrigen Signatur gehört die Stuttgarter Handschrift wohl zu den älteren Beständen der württembergischen Königlichen Bibliothek; Busch (2001, S. 120) vermutet aufgrund eines Parallelfalls in Stuttgart, dass die Handschrift von Baron Hüpsch erworben wurde, der die Kölner Blätter vor dem Verkauf an den Bibliotheksgründer Herzog Karl Eugen (1728–1793) heraustrennte und an den befreundeten Sammler Ferdinand Franz Wallraf weitergab.

Inhalt:

Stuttgart, Cod. poet. et phil. 2º 4

1. 1ra–91ra Jean de Mandeville, ›Reisebeschreibung‹, deutsch von Otto von Diemeringen
Handschrift S2; Ernst Bremer, in: 2VL 5 (1985) Sp. 1209f., 2VL 11 (2004)
2. 91rb kurzer lateinisch-deutscher Tischsegen
3. 91v–104v Michel Wyssenherre, ›Herzog von Braunschweig‹
4. 105r–110v ›Der König im Bade‹
Fassung II, vgl. Hermann-Josef Müller: Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte der Pseudo-Strickerschen Erzählung ›Der König im Bade‹. Untersuchungen und Texte. Berlin 1983 (Philologische Studien und Quellen 108), S. 183–238
5. 112r–114v ›Rat der Vögel‹, ab Strophe 6
vollständiger Abdruck: Busch (2001) S. 381–386; Franz Pfeiffer: Das Märchen vom Zaunkönig. Germania. Vierteljahresschrift für Deutsche Alterthumskunde 6 (1861), S. 80–106, hier S. 87–89: die ersten beiden und die letzte Strophe

Köln, Wallraf-Richartz-Museum, Nr. 109

Recto ›Rat der Vögel‹, Strophe 1–5
Edition: Hansjörg Koch: Ein Gedichtconcept aus dem 14. Jahrhundert.
PBB 58 (1934), S. 265–267; Busch (2001) S. 380
Verso leer
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, II + 115 [+1] + I Blätter (moderne Blattzählung 1–115 in schwarzer Tinte am oberen Seitenrand), fehlende Blätter: zwei vor Blatt 1, je eines nach Blatt 35, 46 und 61; Blatt 1–3 vertauscht (richtig wäre 2–1–3), das Kölner Blatt Nr. 109 befand sich ursprünglich vor Blatt 112, dessen heute als Rectoseite bezeichnete Seite mit dem Beginn des ›Rates der Vögel‹ als Versoseite Blatt 112 der Stuttgarter Handschrift voranzustellen wäre (Busch [2001] S. 113–122); leere Blätter: 31vb, 47v, 65ra, 111r–v, 115r–v; 285 × 210 mm; Blatt 1r–90v: zweispaltig, 37–42 Zeilen, Blatt 92r–114v: einspaltig, 29–34 Zeilen; seitliche Begrenzung des Schriftspiegels, bzw. der Spalten mit Tinte; Bastarda, eine Hand, als Schreiber und Illustrator nennt sich ein Hans von Gochsheim auf 90vb/91ra: Also ist disz buͤch voͤlbracht Da man tzalt von gotes geburt Mcccclxxi jare vff mit-wochen vor Sant laurencien tag des heilgen mertelers hat disz buͤche gemaͤllet vnd geschriben hans von Goszhem tzu disser tzijt tzentgreffe tzu modauͤ, fast im gleichen Wortlaut 91ra wiederholt (dussent cccclxxj jare vff mitwoch Sant lauͤrencien tag [7. August 1471]), 104v als Inschrift auf dem Grabstein: Anno domini Mcccclxxiu vff reminiscere (6. März 1474); einige Nachträge und Marginalien von späterer Hand, darunter auf Blatt IIv Schmähgedicht auf den Inhalt der Handschrift, datiert 1595, mit nicht eindeutig entziffertem Monogramm (Behr/Blume [1995] S. 25), auf Blatt 104v Gott wöl vns auch verzeyhen thon / daß wir sehr vil gelogen hon; ein- bis zweizeilige rote Lombarden, Kapitelüberschriften, Kolophone (91ra und 104v) in roter Tinte, in Text 2 rote Initialen jeweils zu Beginn der siebenzeiligen Strophen, rubriziert.

Schreibsprache:

südrheinfränkisch.

II. Bildausstattung:

239 kolorierte Federzeichnungen, davon 205 zu Text 1, neun zu Text 3 (91v, 94r, 96r, 97r, 98r, 99r, 100r, 102r, 104v), insgesamt 30 Vogeldarstellungen in Text 5. Laut Kolophon ein Zeichner: Hans von Gochsheim.

Format und Anordnung:

Text 3 ist eine ganzseitige Illustration als Titelbild (91v) vor- und eine als Abschluss nachgestellt (104v). Die sieben Textillustrationen, wie die übrigen ungerahmt, im Format halb- bis ganzseitig (ganzseitig sind 96r, 102r), reichen bis an die Blattränder, nehmen jeweils die untere Blatthälfte ein und befinden sich sämtlich auf Versoseiten. Es ergibt sich eine sehr dichte, fast regelmäßige Bilderfolge innerhalb des Textes.

Bildaufbau und -ausführung:

Die Szenen spielen auf einer nahsichtigen Bildbühne ohne Angabe eines Hintergrundes, einige Wellenlinien oder eine Reihe von Blättern genügen, um den Handlungsraum als Landschaft zu charakterisieren, Architekturen werden gern schräg ins Bild gesetzt. Die Federzeichnung wird bestimmt durch kräftige, fließende Konturlinien, die kaum abgesetzt werden und mit großer Sicherheit ausgeführt wurden. Die Binnenzeichnung, ausgeführt in derselben Strichstärke, wird bevorzugt für ornamentale Füllungen von Oberflächen eingesetzt (Dächer, Butzenscheiben in Fenstern). Für die Ausarbeitung von üppigem Faltenwurf bieten die Illustrationen kaum Gelegenheit, bei den kurzen Schecken der Männer deuten nur einigen gerade Linien Falten an. Auffällig ist die Freude an ornamentaler Gestaltung: Löwenmähne in dichten Lockenkringeln, Gefieder der Greifen ( 94r, 96r), Geäst des Baumes (102r), gerolltes Blattwerk der Handlungsbühne. Die Figuren in eher gedrungenen Proportionen, mit kräftigen Körpern; die Differenzierung der meist im Halbprofil wiedergegebenen Gesichter beschränkt sich auf wenige Striche für Augen, Mund und Nase, wobei Nasenrücken und Augenhöhle meist in einer durchgehenden Linie gebildet werden. Trotz der überwiegend flächenfüllenden Kolorierung, die nur wenige Grundtöne in laviertem Farbauftrag verwendet, gelingt dem Illustrator eine erstaunliche Plastizität, insbesondere bei Tierkörpern. Die Konturen werden zur Schattierung sorgfältig mit Grau, zuweilen auch mit Grau und Grün nachgefahren. Der Löwe mit überschlankem Leib, mächtiger, ondulierter Mähne und dicht gesetzten Haarbüscheln an den Beinen mit heraldischen Merkmalen.

Gegenüber der älteren Forschung (Kautzsch [1894] S. 65; Lehmann-Haupt [1929] S. 172) hat Busch in Bezug auf den ›Rat der Vögel‹ den ausgesprochen repräsentativen Anspruch der Handschrift, der sich in der durchdachten illustrativen Ausstattung zeige, betont (Busch [2001] S. 326f.). In ähnlicher Weise ist für den ›Herzog von Braunschweig‹ die außerordentliche Präzision der Bilderzählung zu bemerken, die am Beispiel der allmählichen Veränderung im Äußeren des Herzogs besonders auffällt. Durch das Leben in der Wildnis ähnelt er einem Wilden Mann immer stärker, so dass ihn seine Gattin zunächst nicht wiedererkennt. Im Text wird auf diese Wandlung erst bei der Rückkehr verwiesen: Mit langem harre vmb hangen / Recht ob er wer eyn wilder man (101v, Vers 78, 6f.). In der Bildfolge nehmen sein Bart- und Haarwuchs bereits gleich nach der Abreise über mehrere Illustrationen hinweg zu, sein Gewand verliert schließlich die leuchtend rote Farbe (97r, 98r, 99r). Dass er beim Kampf gegen die Vogelmenschen ein als »exotisch-orientalisch« konnotiertes Krummschwert führt (100r), unterstreicht seine Verwilderung auf der Bildebene zusätzlich. Die Federzeichnungen lassen nicht nur an dieser Stelle auf eine detaillierte Planung der Szenen und die Kenntnis von Bildkonventionen schließen. Die Sicherheit der Zeichnung und die Sorgfalt der Ausarbeitung vermitteln trotz der reduzierten malerischen Mittel den Eindruck einer geübten, professionellen Hand. Ob mit dem genannten Hans von Gochsheim der eigenhändige Schreiber und Maler der üppigen Bildausstattung oder aber der Auftraggeber gemeint ist, bleibt unklar.

Bildthemen:

Für die Illustrationen wurden vor allem spektakuläre Szenen der Abenteuer und der ritterlichen Bewährung ausgewählt, wobei zuweilen mehrere Handlungsmomente in einem Bild zusammengezogen werden:

  1. Das thronende Ehepaar mit dem Löwen (91v).
  2. Der Herzog mit Knecht und Pferd im Schiff, der Greif trägt den in die Pferdehaut eingenähten Herzog im Schnabel davon (94r).
  3. Der Herzog tötet die Jungen im Nest des Greifen und flieht mithilfe der Krallen (96r).
  4. Der Herzog gemeinsam mit dem Löwen im Kampf gegen den Drachen (97r).
  5. Der Herzog fährt mit dem Löwen auf dem Floß auf die Höhle zu (98r).
  6. Der Herzog nun mit langem Haupthaar und Bart vor der Burg der Vogelmenschen (99r).
  7. Der Herzog gemeinsam mit dem Löwen im Kampf gegen die Vogelwesen (100r).
  8. Die Heimkehr des Herzogs: Im Vordergrund der Herzog mit dem Löwen vor dem Tor Braunschweigs (bezeichnet in roter Tinte rechts oben brunczwig), der kopflose Teufel entweicht, dahinter der Herzog in Begleitung des Löwen im Gespräch mit einer Frau im Garten (102r).
  9. Der Löwe sitzt auf dem Grab des Herzogs (104v).

Für diese Folge bilden Titel- und Schlussbild (91v, 104v) einen Rahmen, indem sie Varianten der Treue und Ergebenheit veranschaulichen: Zu Beginn evoziert das Ehepaar, das sich die Hände reicht, die alle Trennung überdauernde Verbundenheit der Ehegatten, während der Löwe zu ihren Füßen den ergebenen Begleiter zeigt, dessen Treue zum Abschluss ein weiteres Mal ins Bild gesetzt wird.

Farben:

Ocker, Rostrot, und Grün. Grau vor allem in laviertem Farbauftrag für Schatten oder Tiefen.

Literatur:

Irtenkauf/Krekler (1981) S. 5f. – Walther Seehaussen: Michel Wyssenherres Gedicht »Von dem edeln hern von Bruneczwigk, als er über mer fure« und Die Sage von Heinrich dem Löwen. Breslau 1913 (Germanistische Abhandlungen 43), S. 1–5; Kautzsch (1894) S. 65 Anm. 2; Lehmann-Haupt (1929) S. 172; Hoppe (1952) S. 61 Anm. 2, Abb. 8, 9 (97r, 102r); Michel Wyssenherre: Eyn buoch von dem edeln hern von Bruneczwigk als er uber mer fuore. In Abbildung aus dem Cod. poet. fol. 4 der Württembergischen Landesbibliothek, hrsg. von Iris Dinkelacker und Wolfgang Häring. Göppingen 1977 (Litterae 41); Gerndt (1980) S. 449, Abb. XXI (97r); Ridder (1991) S. 97–100; Metzger (1995) S. 16–20, Abb. 1–8 (alle Illustrationen bis auf 102r); Heinrich der Löwe (1995) S. 115, Kat. Nr. H8 (Hans-Joachim Behr), Abb. S. 114 (102r); Hans-Joachim Behr, in: Behr/Blume (1995) S. 21–27, Farbabb. 1–9 (alle Illustrationen); Behr (1998) S. 17–25; Busch (2001) S. 61–65, 113–122, 326–328, Abb. 406 (Kölner Blatt), Abb. 407–412 (112r–114v); Leila Werthschulte: Heinrich der Löwe in Geschichte und Sage. Heidelberg 2007, S. 165–168, 216–224; »Mit schönen figuren« (2017) S. 67f., Kat.-Nr. I. 20 (Wolfgang Metzger), Abb. 35 (100r).

Siehe auch die Stoffgruppen 107. Reisebücher, 126. Tiere.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Taf. 56.Ib: 100r. Der Herzog gemeinsam mit dem Löwen im Kampf gegen die Vogelmenschen.

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Taf. 56.Ib.