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74.6.2. Seitenstetten, Stiftsbibliothek, Cod. 313

Bearbeitet von Kristina Freienhagen-Baumgardt

KdiH-Band 8

Datierung:

Mitte 15. Jahrhundert (kunsthistorische Einordnung, Boková [1994] S. 185, gegen Schönbach [1874a] S. 121: zweite Hälfte 15. Jahrhundert; Neuwirth [1885] S. 209: Ende 15. Jahrhundert; Wasserzeichen konnten nicht erhoben werden.).

Lokalisierung:

Bairischer Sprachraum.

Besitzgeschichte:

Zur Provenienz sind keine Angaben möglich. Das in die Handschrift eingelegte, halbseitige Pergamentblatt mit Angaben zur Provenienz (Textabdruck Neuwirth [1886] S. 202) gehört nicht zur Handschrift, sondern war ursprünglich in ein lateinisches Antiphonar eingeklebt, das das Stift Seitenstetten nach dem ersten Weltkrieg verkauft hat. Teile dieser Handschrift sind versteigert worden (vgl. Prague, The Crown of Bohemia [2005] S. 269, 271). Im handschriftlichen Katalog der Bibliotheksbestände, der um 1800 angelegt wurde, ist Cod. 313 bereits verzeichnet (Kapeller/Pampichler Bd. II, S. 227), muss also vorher in die Bibliothek gelangt sein. Aus Bl. 1 wurde über die ganze Breite des Blattes ein Streifen von 110 mm herausgeschnitten, auf dem sich möglicherweise Hinweise auf Schreiber(in) und Ort befunden haben. Geschrieben wurde die Handschrift für eine Ordensschwester, wie der Abschluss von Text 2 nahelegt: Darnach wer ettwas zesagen von den Graden der lieb Aber die zeit ist mir ze kurcz wordn̄ vnd ich wil dich des púchleins nicht lenger sawmen, liebe swester Nu sich ebn̄ welich zaichn̄ der lieb du an dir habst, oder welhe nicht vnd pezz dein lebn̄ vnd pitt got fur mich vnd tail dise ler mit allen frūmēn kindn̄... (72r).

In der Forschung ist die Handschrift durchgängig mit erhaltenen 73 Blättern beschrieben. Dies basiert wohl auf einer teilweise fehlerhaften, nur für einzelne Seiten durchgeführten neuzeitlichen Bleistiftfoliierung. Um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Handschrift nicht zu erschweren, folge ich dieser Zählung. Bei Differenzen wird die korrekte Blattzahl der Handschrift in Klammern angegeben.

Inhalt:
1. 1r–66r (1r–68r) ›Münchner Apostelbuch‹
Legenden zu Petrus, Paulus, Andreas, Jacobus maior, Johannes Evangelista, Thomas, Jacobus minor, Philippus, Bartholomäus, Matthäus (nur Textende vorhanden)
2. 66v–70r (68v–72r) Traktat über drei Arten der Liebe
3. 70r–71r (72r–73r) Traktat über sechs Staffeln der Liebe
4. 71v–73v (73v–75v) Bruder Philipp, ›Marienleben‹
V. 9196–9348 (bricht ab)
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, noch 75 Blätter erhalten (ursprünglich mindestens 77 Blätter; vereinzelte moderne Bleistiftfoliierung mit Fehlern [11 doppelt gezählt; 14, korrekt 15; 47, korrekt 48], Bl. 38 fehlt bis auf einen sehr kleinen Rest, Bl. 67 halb herausgerissen, weitere Blätter beschädigt, dabei auch vier Blätter mit Illustrationen [3, 5, 10, 67], wohl drei Blätter Verlust nach Bl. 67 zur Legende des Matthäus [Berechnung der Lücke durch Vergleich mit Nr. 74.6.1.], in den vorderen und hinteren Spiegel eingeklebt zwei Pergamentblätter mit hebräischen Bibeltexten [Prophetenlesungen zu diversen Wochenabschnitten], die Blätter 55 bis 58 befinden sich in falscher Reihenfolge [ursprünglich richtige Reihenfolge nach korrigierter Zählung, die Handschrift hier nicht foliiert: 55, 58, 56, 57], 208 × 142 mm, Bastarda, eine Hand, einspaltig, 29–39 Zeilen, Rubrizierungen, Lombarden, rote Zwischenüberschriften.

Schreibsprache:

bairisch.

II. Bildausstattung:

15 kolorierte Federzeichnungen. Zwei Maler/innen.

Format und Anordnung:

14 ganzseitige (5v, 10v, 11v, 13v [14v], 22v [23v], 24v [25v], 29v, 34r, 34v, 39v, 46v [47v], 58v, 60v, 67v), eine dreiviertelseitige (8v) kolorierte Federzeichnung. Die Illustrationen befinden sich bis auf eine Ausnahme (34r) nur auf verso-Seiten und beziehen sich jeweils auf den nachfolgenden Text. Sie sind entweder mit der für den Apostel bekannten Ikonografie vor den Textbeginn gesetzt (5v, 13v [14v], 22v [23v], 29v, 39v, 46v [47v], 58v, 60v, 67v) oder zeigen innerhalb des Textes die im beistehenden Unterkapitel nachfolgend beschriebene Szene (8v, 10v, 11v, 24v [25v], 34r, 34v). Unklar ist, weshalb an vier Stellen die recto-Seiten vor den Illustrationen frei geblieben sind (11r, 14r, 23r, 25r [nur zur Hälfte beschrieben]). Eine weitere Illustration ist unwahrscheinlich, da dann das durchgängige Illustrationskonzept mit einem engen Text-Bild-Bezug durchbrochen worden wäre. Möglicherweise spiegeln die frei gebliebenen recto-Seiten die Probleme beim Aufbau der Handschrift. Auf 58r befindet sich durchgestrichen der Abschluss der Thomas-Legende, ergänzt durch den Verweis einer zweiten Hand, dass der geplant nachfolgende Text zu Jacobus minor sich in dem Newn halben plat herhinden in dem puch befindet. Dieser Nachtrag ist nicht vorhanden, was auch mit Blattverlust am Ende der Handschrift zu erklären ist. Allerdings beginnt 56r innerhalb der Thomas-Legende die vollständige Jacobus minor-Legende, was dem Schreiber des Zusatzes offensichtlich nicht bekannt war. Das mit dem Schluss zur Thomas-Legende und der Kapitelüberschrift zu Jacobus minor versehene Blatt war nach Bl. 56 herausgenommen und vor der Philippus-Legende eingeklebt worden, damit sich die Illustration an der richtigen Stelle vor der Philippus-Legende befand. Ursprünglich war der Freiraum wohl für die Illustration der Jacobus minor-Legende vorgesehen.

Bildaufbau und -ausführung:

Der Hauptillustrator legt Wert auf Detailgenauigkeit (Turm mit Beschlägen 5v, die Holzmaserung im Andreaskreuz 23v, das Ochsengespann zur Beerdigung des Jacob 34r, die Wirtschaft mit Kranz als Namenszeichen 34v, die Häutung des Bartholomäus 60v) und durch Gestik und Mimik erzeugte Lebendigkeit der Szenen. Die Figuren stehen alle auf grünem oder braunem Bodengrund, der mit Grasbüscheln und Blumen sorgfältig (Maler/in 1) ausgestaltet ist (5v, 8v, 39v, 60v), wobei die Farbe teilweise aber auch auf ansonsten sorgfältigen Bildern aufgeschmiert wirkt (Maler/in 2: 10v, 11v, 14v, 22v [23v], 25v), ergänzt durch Landschafts- und Architekturelemente wie Häuser (14v, 29v, 34v), Mauer (5v), Turm (5v) und wenig Bäume, deren Laub wie hingetupft erscheint (5v, 39v, 67v). Die Figuren der Heiligen sind schmal und groß gezeichnet, mit zarten, ausdrucksstarken Gesichtern, die Schergen mit groben Physiognomien, Hakennasen, wilden Haaren. Von späterer Hand wurden annähernd sämtlichen Folterknechten die Augen ausgestochen oder auch die Gesichter entfernt (besonders 58v). Die Apostel sind in der bekannten ikonografischen Darstellung erfasst. Petrus in blauem Gewand, mit breitem Kopf, Glatze mit Lockenkranz und Stirnlocke und abgerundetem, kürzerem Bart, Paulus mit Vorderglatze und spitzem, längerem Bart. Die Gesichter sind fein modelliert durch Farbschattierungen, kleine rote Münder, Augenbrauen, Mundwinkel oft nach unten gezogen. Die Figuren werden häufig in einer Kommunikationssituation gezeigt, die durch Gestik und Mimik verdeutlicht wird. Besonders auffällig ist dies bei Apostel Thomas im Gespräch mit Christus (47v) und der Szene in der Jacobus-Legende, als der Wirt von hinten den Vater anspricht, der Sohn zweifelnd zur Seite blickt (34v). Die Gewänder fallen lang und fließend mit detailliertem Faltenwurf, die Kopfbedeckungen variieren (Pilgerhut 29v, 34v; Judenhut 60v; phrygische Mütze und ähnliche Form 8v, 11v, 60v; Turban 14v, 25v; Helm 11v). Gebäude und Häuser sind perspektivisch meist richtig erfasst, die Dächer der Häuser sind unterschiedlich und detailverliebt gestaltet (13v [14v], 25v, 29v, 34v). Die Farben sind gleichmäßig lavierend aufgetragen, Schatten und Strukturen werden durch unterschiedlich intensiven Farbauftrag erzielt, nicht durch Schraffuren.

Bildthemen:

Alle Apostellegenden sind illustriert. Erfasst sind Heilige im Martyrium (22v [23v], 58v, 60v), in sitzender Haltung mit Attribut (39v, 67v) oder in einer aus dem Text abgeleiteten Szene mit engem Text-Bild-Bezug (5v, 8v, 10v, 11v, 13v [14v], 29v, 34r, 34v, 46v [47v]). Petrus und Jacobus sind jeweils mit drei Illustrationen am umfangreichsten ausgestattet, die Andreas-Legende wird in zwei Illustrationen berücksichtigt. Zu Petrus: Paulus reicht dem gefangenen Petrus den Krug zum Trinken (5v); Petrus und Paulus predigen gegen Simon Magus (8v); Simon Magus versucht einen Toten zum Leben zu erwecken (10v). Zu Paulus: Eyn man nam Saulus pei der hannt vnd weist jn jn die stat (13v [14v]). Zu Andreas: Andreas wird von zwei Schergen an das Andreaskreuz gebunden (22v [23v]); Ein Kind wird von sieben Hunden zu Tode gebissen (24v [25v]). Zu Jacobus maior: Jacobus als Pilger im Pilgergewand vor einer Stadt (29v); Jacobus’ Leichnam wird von zwei gezähmten Ochsen zur Beerdigung gefahren. Die zum Christentum bekehrte Königin und ihr Gesinde sehen zu (34r); Vater und Sohn auf Pilgerfahrt. Der Wirt schiebt ihnen eine Münze unter (34v). Zu Johannes Evangelista: Johannes sitzt auf dem Thron und schreibt in ein Buch. Neben ihm der Adler als ikonografisches Attribut (39v). Thomas: Thomas führt die rechte Hand an die Seitenwunde Christi (46v [47v]). Zu Philippus: Kreuzigung des Philippus. Zwei Schergen werfen Steine auf ihn (58v). Zu Bartholomäus: Die Häutung des Bartholomäus, liegend auf einem Brett (60v). Zu Matthäus: Der geflügelte Matthäus sitzt auf dem Thron und schreibt (67v).

Farben:

Blau, Braun, Grün, Gelb, Rot, Rosé, Inkarnat, Schwarz.

Literatur:

Glassner (2005) S. 164; die Illustrationen sind (teilweise unrichtig) gezählt im Onlinekatalog: Hill Museum & Manuscript Library, Saint John’s University, Collegeville / Minnesota, USA (http://www.vhmml.us/research2014/catalog/detail.asp?MSID=51). – Schönbach (1874a) S. 121–123; Neuwirth (1885) S. 209–215; Gärtner (1978) S. 166; Boková (1994) S. 185f.

Abb. 70: 8v. Petrus und Paulus predigen gegen Zauberer Simon Magus.

Abb. 71: 34v. Vater und Sohn als Jakobspilger werden vom Wirt des Diebstahls bezichtigt.

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Abb. 70.
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Abb. 71.