KdiH

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54.0.1. Nürnberg, Stadtbibliothek, Amb. 645.2º; Berlin, Staatliche Museen – Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Inv.-Nr. 1082; Inv.-Nr. 1083

Bearbeitet von Ulrike Bodemann

KdiH-Band 6

Datierung:

1515.

Lokalisierung:

Nürnberg.

Besitzgeschichte:

Vor 1835 wurden zwei Blätter aus der Handschrift herausgetrennt, die 1835 mit der Sammlung Karl Ferdinand Friedrich von Nagler in die Berliner Kupferstichsammlung gelangten. Die »Rumpf«-Handschrift taucht erst 1878 im Handel auf (Antiquariat Heerdegen-Barbeck, Nürnberg, Vermutungen zu Vorbesitzern bei Wuttke [1964] S. XVII), wurde von der Nürnberger Stadtbibliothek erworben und der 1844 der Stadt überlassenen Norica-Sammlung des Kaufmanns Georg Paul Amberger (1789−1844) einverleibt.

Inhalt:
1r−13r Pangratz Bernhaubt, ›Histori Herculis‹
1r Titel und Wahlspruch Bernhaubts, 1v Widmung an die Gebrüder Vischer, 2r Zv dem Leser, 2r−3v Vorede von der Tugent, 4ar−6r Herkules am Scheideweg, 6v−11r Triumph und Apotheose, 11v−13r Memento mori, gereimte Autoritätenreihe und weitere Dicta, Schlusswort Bernhaubts
13v Sprüche (drei darunter von Heinrich Bebel)
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 14 Blätter (Nürnberg) + zwei Blätter (Berlin); die Nürnberger Blätter modern foliiert 1–14 (14 unbeschrieben), 305 × 210−213 mm; die Berliner Blätter unfoliiert, sie gehören hinter Nürnberg Blatt 4 (4a = Berlin 1082) und 5 (5a = Berlin 1083), 246 × 163 mm (stark beschnitten); einspaltig (Schriftspiegel oben und unten mit einfacher, an den Seiten mit doppelter Linie eingefasst), maximal 45 Zeilen, humanistische Kursive, ein Schreiber (Pangratz Bernhaubt, 14. November 1515, vgl. 1v, 13r), von ihm auch die beiden Initialen 2r und 5v, die Überschriften und Kolumnentitel in Rot sowie die Rubrizierung, ebenso die später nachgetragenen Korrekturen und Marginaleinträge in Kurrentschrift.

Schreibsprache:

nürnbergisch.

II. Bildausstattung:

Zwei aquarellierte Federzeichnungen, 4ar (= Berlin 1082), 5ar (= Berlin 1083), eine unvollendete Federzeichnung 7v. Die beiden ersten Zeichnungen von Peter Vischer d. J., für die dritte wurde von Wuttke Hermann Vischer d. J. als Zeichner erwogen; Dreher (2002) sieht keinen Grund dafür, sie nicht auch Peter Vischer zuzuweisen.

Format und Anordnung:

Ganzseitig, in doppelte (7v in einfache), mit brauner Tinte gezogene Linie eingefasst (ca. 238−241 × 157−158 mm). Zu allen drei Bildern fungieren die Regieanweisungen wie Szenenbeschreibungen. Sie gehen diesen voraus (4v, 5r, 7r), es besteht jedoch keine unmittelbare Anbindung, insbesondere 5ar ist in ein fortlaufendes Textkontinuum eingeschoben. 4ar und 5ar gehören zur ersten Szene des Spiels: Herkules am Scheideweg (wobei das erste Bild noch vor Beginn des eigentlichen Spieltextes steht, der 4av mit der Titelschrift beginnt), 7v illustriert die zweite Szene: Triumph des Herkules über das Laster mit einem Musengesang, der seine Taten feiert.

Bildaufbau und -ausführung:

Vischer zeichnet leichthändig mit schwarzbrauner Feder (über Stiftvorzeichnung) in sehr bewegter, dabei skizzenhaft wirkender Strichführung, er laviert flächig und in Schraffen mit zurückhaltend abgetönten Wasserfarben. In der Ausführung stehen die Herkules-Zeichnungen für Vischers ›klassischen‹ Stil (Dreher [2002] S. 176): Die lichte, den hellen Papiergrund nutzende und fast ohne Farbe auskommende Gestaltung von zentralen Figuren nähert sich Grisailleeffekten an, die plastische Herausarbeitung sowohl der Figuren durch dichte kurze Federschraffur als auch der Landschaftselemente durch behutsam modellierende Pinsellavierung und -schraffierung lassen die Zeichnungen wie Halbreliefs wirken. Dies gilt besonders für das mittlere Bild 5ar (Berlin 1083) mit dem gewissermaßen aus der Tiefe in die Fläche geklappten Pfad, auf dem die Tugend schreitet, und dem sich in drei Stufen vor dem planen Hintergrund auftürmenden Höllenqualm. Vischers Zeichnungen gelten als innovativ für das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, da sie mythographische Themen konsequent antikisierend darstellen (Wahl der Kostüme, Behandlung körperlicher Nacktheit, Ergänzung antiker Nebenszenen u. a.).

Die Szenenanweisungen Bernhaubts sind im Detail sehr präzise, nennen auch die darzustellenden Attribute der Figuren und geben (insbesondere für 4ar und 5ar) sogar Richtungsanweisungen für die Platzierung von Figuren (4v an der lincken seytten, 5r aber hinter ir). Das zweite Bild hat den komplexesten Szenenaufbau.

Mittelpunkt ist der Springbrunnen, wobei nicht nur für die am unteren Bildrand sitzenden Spielleute mit Dreher (2002, S. 212, mit älterer Forschung) die musizierenden Musen im Holzschnitt zu Conrad Celtis’ ›Quattuor libri amorum‹ (Nürnberg: Sodalitas Celtica, 1502 [VD 16 C 1911], a7r) inspirierend gewesen sein dürften: Dort wird der Brunnen als fons musarum bezeichnet, unter den sechs flankierenden Figuren ist Herkules, mit dem in Bernhaubts und Vischers Bildkonzept ebenfalls übernommenen dreiköpfigen Cerberus als Nebenfigur. Herkules selbst ist im zweiten Bild Vischers nicht visuell präsent, doch in der Szenenanweisung Bernhaubts wird so explizit auf die Herkules-Darstellung der ersten Zeichnung zurückverwiesen (Hercules also zw der gelincken schlaffend vnnter dem vorbenannten buchsbaum …), dass man sich diese als von Vischer gewissermaßen ausgekoppelt und um die drei Parzen und den männlichen Somnus erweitert vorstellen kann (damit, dass dieser wie Merkur mit Fußflügeln ausgestattet ist, folgt das Bild der gängigen Darstellungskonvention für das ›Urteil des Paris‹; vgl. auch Vischers Zeichnung in der ›Apologia‹, Berlin 74r, dazu Anzelewsky [1987], Textbd. S. 49). Der zentrale Brunnen (von Vischer im Detail anders ausgearbeitet als im Celtis-Holzschnitt, vgl. Dreher S. 212) wird von Bernhaubt zwar nicht Musenbrunnen genannt, die Kenntnis des Celtis-Holzschnitts vorausgesetzt kann er jedoch als solcher aufgefasst oder mindestens darauf bezogen werden. Der Musenreigen des dritten Bildes (mit der Feder anskizziert sind lediglich drei Musenfiguren) wäre dann als eine weitere Verselbständigung eines Einzelmotivs aus dem Gesamtzusammenhang zu interpretieren. Angesichts dieser über das Einzelbild hinausweisenden Bezüge ist hinter den drei Bildern ein einziges Bildkonzept zu erkennen, das sein zentrales Motiv im mittleren Bild hat (Herkules’ Traum von der Zwietracht der tugentlichen eer und der verdemptlich wollust).

Bildthemen:

4ar Traum des schlafenden Herkules, mit den drei Parzen; 5ar Zwiespalt zwischen Virtutes und Voluptas; 7v Reigentanz der Musen. – Die Zeichnungen stehen thematisch in der Tradition der vornehmlich italienisch geprägten Herkules-Rezeption des 15. und frühen 16. Jahrhunderts (Panofsky [1930]). Viele Motivdetails fanden Bernhaubt und Vischer bereits in den ›Stultifera Navis‹-Holzschnitten von 1497 vor (siehe oben: Einleitung), andere, etwa die Darstellung des Somnus, gelten als originäre Rezeption antiker Motive. In Nürnberg, wo die Herkules-Rezeption einen besonders starken Widerhall gefunden hatte (vgl. insbesondere Albrecht Dürers ›Herkules am Scheideweg‹ von ca. 1498 [SMS 22]), muss das von Bernhaubt und Vischer in Kenntnis zahlreicher einschlägiger humanistischer Werke (hierzu der Kommentar bei Wuttke [1964, siehe unten: Literatur] S. 112–167) äußerst ambitioniert konzipierte Bild-Text-Ensemble ein ausgesprochen hohes, geradezu elitäres Bildungsniveau in Anspruch genommen haben.

Farben:

wässrige Töne, Grün, Oliv, Braun, Hellrosa, Blau, Graublau, Grau.

Literatur:

Elfried Bock: Die Zeichnungen der deutschen Meister im Kupferstichkabinett zu Berlin. Berlin 1921, Bd. 2, S. 878f., Nr. 1082, 1083; Schneider (1965) S. 487f. − Erwin Panofsky: Hercules am Scheideweg und andere antike Bildstoffe in der neueren Kunst. [1930] Neuauflage mit einem Nachwort von Dieter Wuttke [Erwin Panofskys Herculesbuch nach siebenundsechzig Jahren; mit neuer Seitenzählung]. Berlin 1997 (Studien zur Bibliothek Warburg 18), S. 86−100 und S. 65−67, Abb. 41 (4ar [Berlin 1082]), Abb. 42 (5ar [Berlin 1083]); Dieter Wuttke: Die Histori Herculis des Nürnberger Humanisten und Freundes der Gebrüder Vischer, Pangratz Bernhaubt gen. Schwenter. Materialien zur Erforschung des deutschen Humanismus um 1500. Köln / Graz 1964 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 7), Abb. 1 (4ar [Berlin 1082]), 2 (5ar [Berlin 1083]), 3 (7v); Dürer – Holbein – Grünewald. Meisterzeichnungen der deutschen Renaissance aus Berlin und Basel [Ausstellungskatalog Basel, Kunstmuseum 1997 / Berlin , Kupferstichkabinett 1999]. Ostfildern 1997, S. 244−246, Nr. 16.2 (Renate Kroll), Abb. S. 245 (4ar [Berlin 1082]) [Engl. Ausgabe: From Schongauer to Holbein. Ostfildern 1999]; Derick F. W. Dreher: The Drawings of Peter Vischer the Younger and the Vischer Workshop of Renaissance Nuremberg. Diss. [masch.] Yale University 2002, bes. S. 206–215, Abb.1 (4ar [Berlin 1082]), 2 (5ar [Berlin 1083]), 3 (7v).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Taf. 54.I: Inv.Nr. 1083. Zwiespalt zwischen Virtutes und Voluptas.

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Taf. 54.I.