49a.2.1. Washington, The Library of Congress, Rare Books Division, Rosenwald Collection, Ms. 4 (olim Ms. 3)
Bearbeitet von Pia Rudolph
KdiH-Band 6
1. Hälfte des 15. Jahrhunderts (
Bayerischer Raum.
Am 18. Dezember 1845 bei Fletcher & Prince in London (Piccadilly) ersteigert durch Hugh Charles Clifford (1790–1858), siebter Lord von Cudleigh. Ir: Exlibris Cliffords, eingeklebter Zeitungsartikel, der die Herkunft des Manuskripts aus einer bischöflichen Bibliothek festhält. Verkauft wurde die Handschrift laut Artikel des Londoner ›Herald‹ als »Die Kunst der Ciromantia, durch D. Hartlieb, printed by Jorg Schapff, at Augsburg, in 1448, sold for 14 £.« Umschlag: Zettel mit Schriftzug aus dem 17.(?) Jahrhundert: Die Kunst Ciromantia von Doktor Hartlieb Herzoglich baierischer Leibarzt. 1448; gemeint ist das 16-blättrige Blockbuch der 1448 entstandenen ›Chiromantie‹: Augsburg: Joerg Schapf, ca. 1485–1495 (
1. | 1r | Sphärenschema, Planetenkinder, Autoritätenbilder; Planetenverse, lateinisch; Planentenkinderverse, deutsch und Merkverse, lateinisch |
2. | 1v | Zodiakusmann; sog. ›Dominum-signorum‹-Texte, lateinisch und deutsch, die die Eigenschaften der Tierkreiszeichen und ihre Zuordnung erklären |
3. | 2r [3r] | Aderlassmann; Aderlassregeln, Lassstellentexte, deutsch |
4. | 2v [3v] | Aderlassmann; Jahreszeitenlehre, Monatsregeln, verworfene Tage, Gewitterlehre, Nativitätsprognostik, Lassstellentexte, deutsch (Übersetzung von 3v) |
5. | 3r [2r] | Aderlassmann; Aderlassregeln, Lassstellentexte, kritische und verworfene Tage, deutsch |
6. | 3v [2v] | Aderlassmann; Jahreszeitenlehre, Monatsregeln, verworfene Tage, Gewitterlehre, Nativitätsprognostik, Lassstellentexte, lateinisch |
7. | 4r | Turm der Weisheit, deutsch (Übersetzung von 7v) |
8. | 4v | Mikrokosmosmann; Texte zur Erschaffung des Menschen, deutsch; zu Körper und Seele, deutsch; Mikrokosmos-Makrokosmos-Analogien, deutsch |
9. | 5r | Makrokosmos, Riese und Zwerg; Texte zu den Elementen und ihren Qualitäten, deutsch; Vers zur machina mundi, lateinisch; Plinius- und Gregor-Exzerpte, deutsch; Topos vom Zwerg auf den Schultern des Riesen, lateinisch; Verse zur Philosophie und zu den sieben freien Künsten, lateinisch; Texte zur Trinität und der Einteilung der Philosophie, deutsch |
10. | 5v | Tugendbaum und Cherub; Texte zu den sieben Tugenden, deutsch; Cherub-Text und Beischriften, deutsch |
11. | 6r [7r] | Die Philosophie umringt von den artes liberales |
12. | 6v [7v] | Minnesklaven; Beischriften, deutsch |
13. | 7r [6r] | Lasterbaum, Johannes Evangelista; Beischriften und Text zu den sieben Lastern, deutsch |
14. | 7v [6v] | turris sapiencie, lateinische Entsprechung zu 4r |
15. | 8r |
Minnesklaven; Beischriften und Spruchbänder, deutsch; in separatem Textfeld Pseudo(?)-Frauenlob-Strophe, deutsch
RSM Frau/2/67c; Sangsprüche in Tönen Frauenlobs. Supplement zur Göttinger Frauenlob-Ausgabe. 1. Teil. Hrsg. von
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16. | 8v | Rad der Fortuna; Beischriften, Spruchbänder, Merkverse zu Glück und Unglück, deutsch und lateinisch |
Pergament (Vor- und Nachstoßblätter Papier), [II] + [8] Blätter, unfoliiert (vier Doppelblätter, beim Binden im 20. Jahrhundert wurden die zwei mittleren Doppelblätter vertauscht, richtige Blattfolge: 1, 3, 2, 4, 5, 7, 6, 8) , 400 × 320 mm, Bastarda (Beischriften und längere Textpassagen) und Textura (übergeordnete Texte), ein Schreiber, sehr unterschiedliche Schriftanordnung, Überschriften, z. T. auch Bildinschriften sowie Lombarden in Rot.
mittel- bis nordbairisch (
16 textierte Bildseiten: Figuren und Schemata. Ein Zeichner, offensichtlich identisch mit dem Schreiber.
Die Blätter können einzeln als Bild-Text-Schemata gestaltet sein (4v Mikrokosmosmann), als Doppelseiten zusammenhängen ([7v], 8r Minnesklaven) oder seitenübergreifende visuelle Zusammenhänge bilden (1r, 8v). Manche Blätter enthalten ausschließlich deutsche Texte, manche nur lateinische, manche deutsche und lateinische. Zu wenigen lateinischen Texten werden deutsche Übersetzungen gegeben (zum Zusammenhang von deutscher und lateinischer Sprache siehe
Der ungeübte Zeichner war mit der ikonographischen Tradition vertraut. So war ihm offenbar die Komposition des Turms der Weisheit bekannt, allerdings fiel ihm der perspektivische Aufbau, um den er bemüht war, schwer. Überschneidungen sorgen für eine leichte Tiefenwirkung. Die Federzeichnungen in schwarzer Tinte wurden selten mit etwas Rot akzentuiert. Der abwechselnd schwarze und rote Text fügt sich in das visuelle Gesamtkonzept der Schemata so gut ein, dass es sich bei dem Schreiber auch um den Zeichner handeln muss. Text und Bild wurden auf das Engste aufeinander bezogen, zuweilen passt sich der Text sogar an die Umrisse der Figuren an ( 4v). Es ist davon auszugehen, dass manche Teile des Texts immer illustriert waren, sogar nur als Bild-Text-Kombination funktionieren (z. B. der Turm der Weisheit;
Die »Fehlerhaftigkeit der Texte unabhängig von Sprache, Schriftgrad und Bildqualität« bezeichnet
Abbreviaturhaft werden astrologisch-medizinische Inhalte vorgestellt, aber auch moralische Themen verhandelt, wie Tugend und Laster oder Frauenmacht. Abstrakte Begriffe und Vorstellungen werden zur Anschauung gebracht, wie der Mikro- und Makrokosmos, die sieben freien Künste, das Rad der Fortuna.
1r–3v: astrologisch-medizinischen Illustrationen: Den Anfang bildet ein Sphärenschema (1r), gerahmt von vier Autoritäten, die mit ihrem Spruchband jeweils in einem Medaillon mit Textumschrift gezeigt werden (drei Umschriften enden mit Hasten [?], alternativ ist auch denkbar, links unten: nimium?). Es folgen ein Zodiakusmann (1v), umgeben von Beischriften in kreisrunden Textfeldern, und Aderlassmännchen (2r–3v), jeweils auf der Mitte der vier Blätter und gerahmt von Beischriften sowie Textblöcken. Die Beischriften zu den Aderlassstellen sind in runden Textfeldern angeordnet und durch rote Linien mit den zu öffnenden Körperstellen verbunden. Des Weiteren beschäftigen sich die Darstellungen zum Mikro- und Makrokosmos mit dem menschlichen Körper und seiner Beziehung zu den himmlischen Sphären, womit ein Zusammenhang zum Eingangsblatt hergestellt ist. Der Mikrokosmos (4v) wird als menschliche Figur skizziert, mit Bart und geröteten Wangen, die Arme über der nackten Brust verschränkt: Ein yedleich sel vnd ein fleisch ist ein mensche gar. Die Umrisse seiner Bekleidung werden von verschieden langen Textzeilen über den Köper hinweg formiert, was den Effekt erzeugt, dass der Text zum Rock wird (Abb. 49a.1). Die Metapher vom Mikrokosmos als Rock könnte angeregt sein vom ›Buch der Natur‹, wo es heißt: Nû hân ich kurz begriffen, wie der mensch der ganzen welt sei geleich. dar umb haizt er in kriechischer sprâch microcosmus, daz ist als vil gesprochen als die clain werlt. dar umb sprechent hübsch leut: ich sach alle werlt in ainem rock. (Konrad von Megenberg: Das Buch der Natur. Die erste Naturgeschichte in deutscher Sprache. Hrsg. von
Unter die moralischen Themen fallen vier Blätter der Handschrift, die
Den weiblichen Tugenden (im Turm der Weisheit oder als sieben freie Künste) stehen die Weiberlisten gegenüber. Die ebenfalls als Doppelseite konzipierten Darstellungen zur sog. Weibermacht sind als moralische Warnung vor der List der Frau zu verstehen (6v, 8r). Die Bildflächen sind durch Raster in Bildfelder unterteilt, die Reihen von Minnesklaven und Frauenlisten zeigen (darunter die Buhlschaft auf dem Baum [der betrogene Blinde] und das Beilager auf dem Baum [die Bestrafung durch den Sehenden], durch den Baum besteht ein visueller Bezug zur ersten Minnesklavenszene: Adam und Eva). Auf 8r gibt der Text der Frauenlobstrophe die Reihe der Minnesklavenbilder vor, dazu ist ein Jüngling (Sänger, Frauenlob?) und eine höfische Dame (die ›reine Frau‹) dargestellt. Unten wird das Blatt von einem großen Bildfeld abgeschlossen, in dessen rechter Hälfte eine übergroße, nackte Frau im Umhang (Venus?) einem Jüngling gegenübersteht, der auf eine Gruppe von Minnesklaven hinter sich deutet – nach
Als allen Tafeln übergeordnetes Thema wurde von
Schwarz, Rot.
Abb. 49a.1: 4v. Mikrokosmosmann.