KdiH

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45.5.1. Dresden, Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek, Mscr.Dresd.R.3

Bearbeitet von Peter Schmidt

KdiH-Band 6

Datierung:

Um 1500 und erste Hälfte 16. Jahrhundert, vollendet wohl 1546.

Lokalisierung:

Sachsen.

Besitzgeschichte:

Acquisitionsnummer 30960 auf 1r (1854 aus dem Dresdener Hauptstaatsarchiv überwiesen). Vielleicht aus dem Besitz Georg Spalatins (siehe oben: Einleitung). Auf dem Vorderdeckel des alten Ledereinbandes die eingeprägte Jahreszahl MDXXXII, diese auch in arabischen Zahlen mit Typen auf 104r und 108r gestempelt.

Inhalt:
1r–4r Wappenseiten
1r–91v, 101r–103r Bildnisreihe sächsischer Herrscher (teils mit Frauen und Nachkommen) von Alexander dem Großen bis Georg dem Bärtigen und seinem Sohn Wolfgang, † 1500 (albertinische Linie der Wettiner), mit gereimten Tituli
92r–99v, 104r–116v Fortsetzung der Bildnisreihe (mit ernestinischer Linie) bis Albrecht, Sohn des Herzogs Moritz von Sachsen († 1546)
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, VI + 142 Blätter (87–89 und 113 fehlen, 89 zwischen 107 und 108 eingebunden, 90r, 97r–98r, 100r/v, 105v–106v, 109r–112r, 114r–115v, 117r–142v leer), Wasserzeichen nur erkennbar auf Blatt 100 (Ochsenkopf, Typ Piccard online 80542, aber keine Variante davon) und dem letzten ungezählten Blatt (Piccard online 69188, 1516/17; vgl. Meckelnborg/Riecke [2011] S. 108–110), 398 × 255 mm, Fraktur, eine bis drei Spalten (Tituli der dargestellten Personen zwei bis acht Zeilen, bis zu 20 Zeilen bei der neuzeitliche Hand IV), vier Hände (I: 1r–6v, 7v–9r, 10r–11ra, 11v–12ra, 12v–13ra, 13v, 14v–15ra, 15va, 16v–84v, 85v–86v, 101r–103r; II: 7r, 9v, 11rb, 12rb, 13rb, 15rb, 15vb–16r; III: 14v; IV (2. Viertel 16. Jahrhundert, teils auf Papierstücken, die ältere Tituli überkleben): 85r, 90v–99v, 103v–116v. Nicht rubriziert.

Die erste Produktionsphase dürfte um 1500 abgeschlossen gewesen sein. Die Arbeit des älteren Buchmalers endet 91v mit Wolfgang, dem Sohn Georgs des Bärtigen, der nur 1499–1500 lebte und als Kind dargestellt ist. Diese Datierung durch den historischen Befund entspricht der stilistischen Einordnung dieser Gruppe der Miniaturen. Die heutige Abfolge der Fürsten in dem Codex ist allerdings nicht mehr die ursprüngliche Anordnung – die Lagenstruktur ist am Ende des Grundstocks der ersten Phase gestört (87–89 fehlen, Einzelblätter an Falzen 90–101; dann 102–107 wieder eine komplette Lage vom ältesten Maler, die heute einer Partie von Miniaturen der jüngeren Maler 92r–99v folgt). Auch wurde eine Miniatur des ältesten Malers durch eine jüngere Aktualisierung überklebt (Georg der Bärtige, 1471–1539, 91r), bei moderner Restaurierung geöffnet, so dass die jüngeren Bilder aufgeklappt und die älteren betrachtet werden können.

Das Projekt wurde nach dem vorläufigen Ende um 1500 mit größerem zeitlichen Abstand wohl in den 1520er Jahren fortgesetzt (ab 92r von Malerhand II, hier auch das Liniengerüst mit anderer Tinte) und in einer letzten Ergänzungsphase vermutlich 1546 vollendet. Da es keinen Grund gibt, das gestempelte Datum MDXXXII auf dem Einband anzuzweifeln, könnte die Handschrift nach Vollendung der zweiten Ausstattungsphase gebunden worden sein.

Schreibsprache:

ostmitteldeutsch.

II. Bildausstattung:

Sieben Wappenseiten (1r–4r) und 335 Bildnisse in kolorierter Federzeichnung und Deckfarben auf 197 Bildseiten (4v–86v, 91r–96v, 98v–99v, 101r–105r, 107r–108v, 112v–116v). Ab 91r wurden mehrfach Bildnisse einer älteren Malerhand durch solche eines jeweils jüngeren Malers überklebt. Das erfolgte offenbar, wenn eine allzu jugendliche oder vom veränderten Stand als nicht mehr angemessen empfundene Darstellung der Aktualisierung bedurfte: 91r Hand I überklebt durch Bild von Hand II, 93v Hand II überklebt durch Hand III, beide bei einer Restaurierung geöffnet, so dass die jüngeren Bilder weggeklappt werden können. 94r nicht gelöste Überklebung, 104v Leimspuren eines nicht mehr vorhandenen überklebten Bildblattes, 105r und 112v nicht gelöste Überklebungen, doch darunter keine ältere Miniatur zu erkennen, 108v Bildnis von Malerhand II überklebt durch Porträt von Hand III, heute wegklappbar.

Format und Anordnung:

Die Bildseiten in den älteren wie auch den jüngeren Teilen sind durch ein Liniengerüst horizontal in fünf Zonen eingeteilt, nach beiden Seiten ist ein oft überschriebener Rand abgeteilt. Die obersten ungefähr gleich hohen Felder tragen zunächst den Namen in großer Schrift, darunter den zwei- bis achtzeiligen Titulus, der die Person charakterisiert. Die Hauptfelder für die Porträts messen durchschnittlich 213 × 185 mm, darunter eine etwa 55 mm hohe Zeile für die Wappen, unten eine frei bleibenden Randzeile.

Bildaufbau und -ausführung:

Der gesamte um 1500 abgeschlossene Grundstock ist von einer Hand gemalt (1r–86v, 91r/v [91r überklebt von den jüngeren Hand II], 101r–103r). Für die Tätigkeit von Hand II, die die erste Phase der Nachträge ausführte, lässt sich anhand des Bildnisses von Johann Ernst (104v) ein zeitlicher Anhaltspunkt gewinnen: Der 1521 geborene Sohn Herzog Johanns des Beständigen ist noch als Kind – doch nicht mehr als Kleinkind, was bei anderen Mitgliedern der Reihe durchaus so wiedergegeben wird – dargestellt, so dass man von den späten 1520er Jahren oder der Zeit um 1530 ausgehen kann. Von Hand II stammen: 92r (überklebt von einem Blatt der Hand III), 92r–93v (auf letzterer Seite von einem Blatt der Hand III überklebt), 103v (das Gesicht Johanns des Beständigen übermalt von Hand III), 104r/v, 107r/v, 89r/v (falsch eingebundenes Blatt), 108v (überklebt mit Blatt von Hand III). Hand III gehört Lukas Cranach d.Ä. oder seiner Werkstatt: 91r und 93v (kleben auf älteren Bildnissen von Hand I), 94r, 95r, 95v, 96r, 96v, 98v, 99r, 99v, 104r (Gesicht Johanns des Beständigen übermalt auf der von Hand I stammenden Miniatur), 105r, 108r, 108v (klebt auf älterem Porträt von Hand I), 112v, 116r, 116v.

Die Figuren von Hand I stehen frei ohne Bodenstücke und werfen grau lavierte Schatten nach rechts. Hand I zeichnet mit Kohle vor, dabei oft erhebliche Abweichungen bei der Ausführung; dann die Konturen und Schraffuren – teils tief schattierend, teils fein strichelnd – in Feder und brauner Tinte gezogen. Gleichmäßiger flächiger Auftrag der Farbe, teils wässrig-transparent, teils mit deckenden Pigmenten (vor allem Schwarz und Blau, letzteres stark abgeplatzt). Alle Personen stehen, wobei sich der Künstler bemüht hat, sie durch Schrittstellungen, an ihr Gegenüber gerichtete Kommunikationsgesten, ungewöhnliche Haltungen oder gar Wendung des Rückens zum Betrachter abwechslungsreich zu gestalten. Antiquarische Kleidung findet sich – abgesehen von einigen Rüstungen bei den ältesten Fabelfürsten – kaum, die Kostümierung ist weitgehend zeitgemäß. Hand II schließt sich im Kolorit an Hand I an; besonders in den Gesichtern aber ist sie weniger malerisch, verwendet kaum Inkarnat, vielmehr dominiert eine sehr souveräne, locker hingeworfene und doch präzise Federzeichnung. Hand III betreibt plastischere Feinmalerei mit fließend vertriebenen Deckfarben und lässt sich mit der Buch- und Tafelmalerei der Werkstatt Lukas Cranachs d.Ä. in Verbindung bringen, sowohl in der Malweise als auch in der Verwendung von Gesichtstypen aus dem Werkstattrepertoire. Manche Gesichter wirken wie aus dem Musterbuch aufgesetzt (z.B. 93v).

Die Struktur lässt sich auf die in den späten 1470er Jahren hergestellte Handschrift mit einer bis in die Antike zurückreichenden Reihe der Herrscher Bayerns zurückführen (Mscr.Dresd.P.47, siehe oben Nr. 45.2.3.). Die unmittelbare Kenntnis der Vorlage verraten folgende Bildnisse: 36r (Friedrich II. Graf zu Wettin): Mscr.Dresd.P.47, 44r; 40r (Dietrich II. Markgraf der Niederlausitz): Mscr.Dresd.P.47, 36r; 46v (Heinrich I. Markgraf von Meißen): Mscr.Dresd.P.47, 18r; 55v (Ulrich, Sohn Heinrichs von Wettin): Mscr.Dresd.P.47, 56r; 57r (Philipp, Propst in Xanten): Mscr.Dresd.P.47, 47r; 74r (Friedrich der Lahme): Mscr.Dresd.P.47, 47v; 81v (Heinrich, Sohn Friedrichs des Streitbaren): Mscr.Dresd.P.47, 53r (Prinzip Rückenansicht).

Bildthemen:

Wappenseiten 1r–4r: 1r–2r drei ganzseitige Wappen, die die Herrschaften der sächsischen Frühgeschichte bezeichnen. 1r überschrieben: Insigne sacratum regni quondam Saxon[iae], 1v: Regnum vetus Thuringorum et Siccambrorum, 2r: Magni ducatus olim Saxonie insigne. 2v–3r zwei Seiten mit je fünf Wappen: 2v bezeichnet Sachssenn, Doringen, Chur (Kurschwerter, Zeichen des Erzmarschallamtes), Meissen, Pfaltz (Pfalzgrafschaft Sachsen), 3r Lausatz, Lansperg, Regalia (leerer Regalienschild), Sagan, Marck Sachssen. 3v und 4r: Auf zwei Seiten jeweils 15 Wappen der zu dem Haus Wettin gehörenden Herrschaften.

4v beginnt die Reihe von Herrscherbildnissen mit Alexander dem Großen, zu dessen Herrschaftsbereich der zweimal vierzeilige Titulus Sachsen ausdrücklich zählt. Die Reihe der sagenhaften Regenten setzt auf 5r Petraculus fort, ein angeblicher Nachkomme Alexanders, auf 6r erscheint mit Tanckmer der erste legendäre König der Sachsen. Die jüngsten Herrscher aus der ersten Phase des Projekts sind Georg der Bärtige (1471–1539) und sein früh verstorbener Sohn Wolfgang (1499–1500), 91r und 91v. Das Bildnis von Wolfgangs jüngerem Bruder Christoph (* / † 1501) stammt schon aus einer zweiten Phase, als die Fürstenreihe nach einer Unterbrechung von mehr als zwei Jahrzehnten fortgesetzt wurde. Nun werden auch die Mitglieder der ernestinischen Linie der Wettiner dargestellt, während die erste Phase rein albertinisch geendet hatte. Der jüngste biographisch datierbare Eintrag ist das Kinderbildnis von Albrecht, Sohn des Herzogs Moritz von Sachsen, der 1545 geboren wurde und schon 1546 starb. Die Herrscher sind einzeln oder mit ihren Ehefrauen dargestellt, manchmal auch Gruppen von maximal drei Kindern (so etwa 14v die drei Schwestern Hadamoda, Gerburg und Cristina, alle Äbtissinnen und Töchter des auf 13r dargestellten Paares Lutolph und Oda).

Farben:

Rot, Ocker, Blau, Grau, Braun, Grün, Schwarz, Gelb, Rosa, Inkarnat, Weiß.

Literatur:

Schmidt (1906/1982) S. 287. – Christian Schuchardt: Lucas Cranach des Aeltern Leben und Werke. Bd. 2. Leipzig 1851, S. 49–53 Nr. 259–287; Ermenogildo Donadini: Das goldene Buch oder accurate Abbildungen der weitberühmten fürtrefflichen sächsischen Fürsten nach Lukas Cranach etc., mit möglichstem Fleiß hervorgesuchet, copieret und vor Augen gestellet […] Dresden 1889; Eduard Heydenreich: Handbuch der praktischen Genealogie. Bd. 1. Leipzig 1913, S. 138; Asmus von Troschke: Das Sächsische Fürstenstammbuch der Landesbibliothek. Neues Archiv für Sächsische Geschichte 60 (1939), S. 294–296; E. Heinrich Zimmermann: Beiträge zur Ikonographie Cranachscher Bildnisse. Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 9 (1942), S. 23–52; Dieter Koepplin / Tilmann Falk: Lukas Cranach. Gemälde, Zeichnungen, Druckgraphik. Ausstellung Kunstmuseum Basel 1974. Bd. 2. Basel / Stuttgart 1976, S. 721 f. Nr. 652; Dresden – Treasures from the Saxon State Library. Ausstellung Washington, Library of Congress, 1996. Washington 1996, S. 91; Thomas Haffner / Konstantin Hermann: Inhaltsübersicht zu Mscr. Dresd. R 3. Dresden 2003 (online http://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/56803/250/); Glaube und Macht. Sachsen im Europa der Reformationszeit. Zweite Sächsische Landesausstellung Torgau, Schloß Hartenfels, 2004. Hrsg. von Harald Marx und Eckkard Kluth. Dresden 2004, S. 279 Nr. 436; Tanja Holste: Die Porträtkunst Lukas Cranachs d.Ä. Diss. Christian-Albrechts-Universität Kiel 2004 [online unter http://d-nb.info/975470078/34], S. 123 f., 143, 293; Mit Schwert und Kreuz (2007) S. 205 Nr. 3.4, Abb. S. 13 (80r). S. 16 (79v). S. 33 (56r). S. 70 (83r). S. 175 (2v); Zukunft seit 1560: Von der Kunstkammer zu den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Ausstellung Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, 2010. Berlin / München 2010, S. 22 Nr. 4 mit Abb. (99r); Meckelnborg/Riecke (2011) S. 192 Anm. 4.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Taf. 45.VI: 79r. Friedrich I., der Streitbare, mit seiner Frau Katherina.

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Taf. 45.VI.