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97.3. Klarissenregel

Bearbeitet von Sarah Glenn DeMaris

KdiH-Band 9

Von den fünf unterschiedlichen lateinischen Regeln, die im Laufe des 13. Jahrhunderts für die Klarissen geschrieben wurden, gab es im Mittelalter deutsche Übersetzungen nur von den zwei jüngsten – und in beiden dieser Fälle gibt es bebilderte Handschriften. Die ältere der zwei Regeln, die hier in Betracht kommen, wurde kurz vor Klaras Tod geschrieben und am 9.8.1253 in der Bulle ›Solet annuere‹ von Innozenz IV. bestätigt. Obwohl die Verfasserschaft dieser ›Forma vitae‹ nicht eindeutig geklärt ist (Mooney [2016] S. 161–196), wird sie doch traditionell Klara selbst zugeschrieben. Die zweite Regel ist zehn Jahre jünger. Urban IV. erließ am 18.10.1263 die Bestätigungsbulle ›Beata Clara virtute clarens‹, worin die Schwestern nicht nur eine neue Regel bekamen, sondern auch den Namen Ordo sanctae Clarae. Während die ›Forma vitae‹ von 1253 die Armut und Besitzlosigkeit betonte, setzte die Urbanistinnenregel den klausierten Konvent und den dementsprechenden gemeinsamen Besitz voraus. Als in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts die Klarissen der Straßburger Ordensprovinz von observanten Franziskanern reformiert wurden, blieben die Klarissen der späteren und weitverbreiteten Urbanistinnenregel wohl treu, auch wenn in manchen Klöstern Klaras ›Forma vitae‹ daneben zur geistlichen Inspiration genommen wurde (Roest [2013] S. 189).

Die Überlieferung der deutschen ›Forma vitae‹ von 1253 besteht aus einem einzigen Exemplar, das sich zusammen mit einer deutschen Urbanistinnenregel in einer bebilderten Brixener Handschrift (Nr. 97.3.2.) befindet. Mattick (1987, S. 179) vermutet, dass die Nürnberger Klarissen eine jetzt verlorene Kopie der ›Forma vitae‹ besaßen, die als Vorlage diente, als Schwester Barbara Freydung kurz nach 1459 eine Sammelhandschrift (Nr. 97.3.2.) für die Brixener Klarissen vorbereitete. Barbara und fünf weitere Frauen vom Nürnberger Klarissenkloster waren vier Jahre zuvor auf Geheiß von Nikolaus von Kues nach Brixen geschickt worden, um dort die Observanz einzuführen; dort wurde Barbara Freydung Äbtissin. Nach ihrer Rückkehr nach Nürnberg hat sie eigenhändige Abschriften geeigneter Texte in einer Handschrift zusammengestellt, mit der Absicht, diese den ihr anvertrauten Schwestern in Brixen zu schicken. Außer den zwei Regeltexten befinden sich in Nr. 97.3.2. auch eine Kurzfassung der Urbanistinnenregel und Ergänzungen. Dies sind vermutlich Texte, die Barbara schon vor der Reise nach Brixen für die dortigen Klarissen eilig zusammenstellte und später noch einmal in die Handschrift als Erinnerung daran einbinden ließ (Mattick [1987] S. 179). Heiligenlegenden und andere geistliche Texte ergänzen die Handschrift. Nur eine von fünf eingeklebten Miniaturen ist erhalten.

Die Urbanistinnenregel wurde in mindestens vier deutschen Übersetzungen (Wolf [1983] Sp. 1185f.) überliefert, zwei davon bebildert. Ruh (1955, S. 75) glaubte, in einer Übersetzung aus dem Ende des 13. Jahrhunderts das Werk des Augsburger Minoritenkreises erkennen zu können, weswegen sie die Augsburger Fassung genannt wird. Sie ist nicht nur in der schon besprochenen Brixener Handschrift (Nr. 97.3.2.) überliefert, sondern auch in mindestens vier weiteren Handschriften (Nr. 97.3.1., Nr. 97.3.4., Nr. 97.3.5. und Prag, Nationalbibliothek, XVI.G.34). Eine sechste, jetzt verschollene Kopie, ehemals im Regensburger Klarissenkloster, diente als Vorlage für Schönbachs Edition (1909, S. 3–27); auch er sah den Augsburger Minoritenkreis als Ausgangspunkt der Übersetzung (1909, S. 49f.). Die spätere alemannische Übersetzung (Nr. 97.3.6. und Stuttgart, Cod. HB I 87) entstand wahrscheinlich nach 1481 in Pfullingen (Brett-Evans [1960] S. 136), dem Entstehungsort beider Handschriften. Bacher (2009, S. 108f.) vermutet, die alemannische Fassung könne in Pfullingen eigens für die Aufnahme in Nr. 97.3.6. mitsamt den Klarissenstatuten angefertigt worden sein. Später (1520–25) gelangte eine Abschrift davon in Cod. HB I 87. Die Schreiberin Katharina von Weil war für beide Abschriften zuständig und wohl auch für Änderungen im Regeltext, die klosterspezifischen Bedingungen entsprachen (Bacher [2009] S. 109f.).

Die Klarissenklöster in Nürnberg, Brixen und Pfullingen pflegten reformbezogene Beziehungen. Wie oben angesprochen, wurde sechs Nürnberger Klarissen 1455 der Auftrag gegeben, in Brixen die Reform einzuführen. Zwei von ihnen, auch Äbtissin Barbara Freydung, waren bereits wieder in Nürnberg, als 1461 die Brixener Schwestern aus der Stadt vertrieben wurden (Straganz [1919] S. 147f., Roest [2013] S. 190f.). Die Pfullinger Klosterchronik (Brixen, Klarissenkloster, Cod. A I. 2) beschreibt die Vertreibung der Brixener Klarissen mit Etlich bücher (6v, auch in Straganz [1913] S. 540 und Taigel [2002] S. 34f.) und ihre Ankunft in Pfullingen, wo sie aufgenommen wurden. Danach führten die Brixener – unter Leitung einer Nürnbergerin, Dorothea Kohlerin – die Reform in Pfullingen ein. Erst 1464 durften die Schwestern nach Brixen zurückkehren. Allerdings blieben von den 23 noch lebenden Brixener Schwestern fünf in Pfullingen, darunter zwei ehemalige Nürnberger Klarissen (12r, auch in Straganz [1913] S. 542 und Taigel [2002] S. 56f.).

Bücheraustausch – oder vielmehr Ideen darüber, wie man ein Buch schmücken könnte oder sollte – läuft mit diesen Reformbeziehungen parallel. Die Regelhandschriften im Besitz dieser drei Häuser zeigen den gegenseitigen Einfluss in zwei Bereichen des Buchschmuckes: in der Benutzung von eingeklebten Bildern und in der Herstellung einer Prachthandschrift mit Basistexten des Ordens.

Die Anwendung von eingeklebter Druckgrafik in handgeschriebenen Büchern konnte Schmidt (2003, S. 116–119) für das Nürnberger Klarissenkloster mit vier Beispielen belegen. Ein weiteres, ähnliches Beispiel ist die Regelhandschrift (Nr. 97.3.2.), die die Nürnberger Klarissen nach Brixen schickten, wahrscheinlich schon vor der Vertreibung nach Pfullingen 1461, denn fünf Miniaturen wurden in diese Handschrift eingeklebt. Auch die Pfullinger Klarissen scheinen diese Arbeitsweise bevorzugt zu haben. Innerhalb der wenigen heute noch erhaltenen Handschriften aus dem Besitz der Pfullinger Klarissen (Heinzer [2008] S. 504f.) sind in vier Codices eingeklebte Miniaturen überliefert (Nr. 97.3.6., Stuttgart, Cod. HB I 26 und Cod. HB I 87 sowie Brixen, Klarissenkloster, Cod. A I. 2). Die letztgenannte Handschrift, eine Pfullinger Klosterchronik von ungefähr 1525, enthält einen Holzschnitt der heiligen Barbara (6r, auch in Taigel [2002] S. 32) – ohne textbezogenen Zusammenhang – und erinnert an Barbara Freydungs früheres Geschenk an die Brixener Schwestern (Nr. 97.3.2.), die auch eine eingeklebte Barbara enthält. Die Nürnberger Herkunft eines Holzschnittes in Cod. HB I 87 (Heinzer [2008] S. 510f. – aus der Offizin Kaspar Hochfeder) und von mindestens sechs Holzschnitten in Cod. HB I 26 (Heinzer [2008] S. 511–514 – aus dem ›Schatzbehalter‹ des Franziskaners Stephan Fridolin aus der Offizin Anton Koberger), beides Pfullinger Handschriften, deutet auf weitere Beziehungen unter den Klöstern.

Parallellen im Bereich des Buchschmuckes sieht Bacher (2009, S. 105–111) auch in den zwei prächtigen Statutenbüchern der Pfullinger (Nr. 97.3.6.) und Brixener (Nr. 97.3.1.) Klöster, deren prunkvolle Ausstattung die Handschriften als repräsentative Stücke, weniger als Gebrauchshandschriften zeigt. Inhaltlich gemeinsam haben die zwei Handschriften nicht nur den Regeltext, sondern auch Statuten und Bullen, die den Schwestern für die Geschichte der Gemeinschaft besonders wichtig waren. Zum Teil sind es sogar dieselben Statuten (Kardinalprotektor Arnold von Pelagrua; Provinzialvikar Johannes von Lor) und Bullen (Gregor IX. über die Klausur). Bacher (2009, S. 108) vermutet, die Pfullinger Schwestern hätten in einem Brief an die Brixener Schwestern von der Erstellung des Statutenbuchs berichtet, wonach man im Brixener Kloster den Entschluss fasste, eine ähnliche Prachthandschrift mit Basistexten zum Orden zu erstellen. Eine vergleichbare Handschrift gab es auch in einem dritten Klarissenkloster (Ulm, Stadtarchiv, A [783/1]). Blatt 1r (abgebildet in Franziskus – Licht aus Assisi [2011] S. 256) hat eine vierzeilige Goldblatt-Initiale mit Blumenranken, die die linken und unteren Blattränder ganz füllen. Der griechische Buchstabe τ, Symbol der Franziskaner, identifiziert die Herkunft der Handschrift.

Die noch nicht erwähnte Nr. 97.3.3., wahrscheinlich aus dem Terziarinnenkloster Weiler bei Blaubeuren, scheint ähnliche Ziele gesetzt zu haben. Die Pergament-Handschrift enthält nicht nur die franziskanische Drittordensregel von Nikolaus IV. (1289), sondern auch Professformeln, Bullen und Statuten, die den Drittorden betrafen. Miniaturen stellen Mitwirkende bei der Gründung des Ordens dar. Gegenseitiger Einfluss ist aber nicht anzunehmen, denn Kontakt zwischen den Terziarinnen in Weiler und den Brixener oder Pfullinger Schwestern ist erst 1532 feststellbar, als die Weiler Schwestern brieflich um eine Zuflucht bei den Pfullinger Schwestern anfragten (Heinrichsperger [1958] S. 52). Eine weitere bebilderte Pergament-Handschrift (Münster, Diözesanbibliothek, Ms OFM 17), wahrscheinlich im Nürnberger Terziarinnenkloster entstanden (Handschriftencensus Westfalen [1999] S. 218), versammelt Basistexte zum Orden nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Latein. Die Handschrift beginnt mit der lateinischen Drittordensregel und einer Deckfarbenminiatur, die den heiligen Franziskus darstellt (1r, abgebildet in Franziskus – Licht aus Assisi [2011] S. 251). Er reicht Kopien der Regel den um ihn versammelten Mitgliedern des Drittordens, auch dem heiligen Ludwig IX. und Elisabeth von Thüringen.

Zwei weitere Exemplare der Augsburger Fassung der Urbanistinnenregel (Nr. 97.3.4. aus Villingens Bickenkloster und Nr. 97.3.5. aus dem Kloster Klarenthal bei Wiesbaden) scheinen keine direkten Beziehungen zu den anderen Handschriften zu haben.

Die Regelhandschrift aus dem Bickenkloster (Villingen) hatte allerdings eine Beziehung zum Freiburger Klarissenkloster, denn die Malerin Sibylla von Bondorf, Klarissin in Freiburg, illuminierte die zwei leeren Seiten am Anfang (1r–v) und die sechs leeren Seiten am Ende (30v–33r) der Handschrift. Bodemann (2007, S. 199f.) vermutet, dass Konrad von Bondorf, der selbst aus dem Villinger Franziskanerkloster kam, seine Verwandte eine schon vorhandene Handschrift neu gestalten ließ, damit der Regeltext den Villinger Schwestern zu ihrer Klausierung und Reform feierlich überreicht werden konnte. Die Chronik des Bickenklosters beschreibt tatsächlich die Übergabe eines Regeltextes an die neue Äbtissin am Tag der Klausierung (29.4.1480). Der Chronik nach gebot ihnen der Provinzial Heinrich Karrer … dass sie … nimer mer solten heruskomen nach inhalt der regel, der hailigen muetter sant Clara, und botte auch die hailige regel dar der frumen seligen muetter Ursula Haiderin. Die empfieng sie in ihr hant mit großer andacht und heißen trehen … (Glatz [1881] S. 32f.). Bodemann (2007, S. 197) sieht in Nr. 97.3.4. eben diese Regelhandschrift. Dass die Miniaturen weder inhaltlich noch räumlich in die Handschrift integriert sind, spricht dafür, dass Sibylla sie nachträglich hinzufügte, wo es vorne und hinten leere Blätter gab. Die integrierten Initialen mit Rankenschmuck wurden in der ersten Jahrhunderthälfte von anderer Hand angefertigt, wohl gleichzeitig mit dem Schreiben der Handschrift (Bodemann [2007] S. 198).

Auch die Federzeichnung in Nr. 97.3.5. aus dem Klarissenkloster Klarenthal wurde nachträglich hinzugefügt, aber in diesem Fall gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen Bild und Text: Es ist die heilige Klara, die als Titelbild zur Urbanistinnenregel dient.

Editionen:

Klaras ›Forma vitae‹ (1253): Mattick (1987) S. 220–232 (Nr. 97.3.2., 61r–83r). – Urbanistinnenregel (1263): Schönbach (1909) S. 3–27 (ohne die Handschriften dieser Untergruppe); Mattick (1987) S. 188–214 (Nr. 97.3.2., 4r–41r). – Drittordensregel (1289): Birlinger (1873) S. 186–194; Müller-Ravensburg (1925/26) S. 105–115; Degler (1969) S. 509–517; Stopp (1979) S. 581–588; Honemann (2004) S. 231–237 (alle ohne Nr. 97.3.3.).