KdiH

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49a.3.1. olim Wolfegg, Fürstlich Waldburg-Wolfegg’sche Bibliothek, ohne Sign. (3) (heute Privatbesitz)

Bearbeitet von Pia Rudolph

KdiH-Band 6

Datierung:

Um 1482 (Waldburg [1997], Kommentar, S. 76f.).

Lokalisierung:

Nordbayerisch-ostfränkischer Raum.

Besitzgeschichte:

Das Wappen des Auftraggebers und Erstbesitzers ist nicht zuzuordnen (2r und 34v: Baumstamm mit abgesägten Ästen). Einträge aus dem 16. (?) Jahrhundert: 25v 2 9 B D, andere Hand: Mh. Die Handschrift war seit dem 17. Jahrhundert im Besitz der Fürsten zu Waldburg-Wolfegg, bis sie 2008 verkauft wurde. Vorderer Spiegel: Inventarnummer, durchgestrichen litt: X Nº18, andere Hand: OXX.

Inhalt: sog. ›Mittelalterliches Hausbuch‹ Ausführliche Inhaltsbeschreibung mit Transkriptionen, Übersetzungen und Quellenangaben im Kommentarband zum Faksimile (Waldburg [1997], Kommentar, S. 10–55.)
2r Ganzseitiges Wappen des Auftraggebers, koloriert; 3r Ganzseitige Darstellung verschiedener Artisten
1. 4r–5v Gedächtniskunst, lateinisch: Prout Galienus in archa secretorum Sicut et plures phisice Auctores monent memoriam per conformia applicatiua ab extra mire subleuria posse …
2. 10v–17r Planeten und Planetenkinder, über Doppelseiten: deutscher Text auf der Verso-, Abbildungen auf der Rectoseite
10v–11r Saturn. Saturnus pin Ich genannt Der hochst planet wol bekannt … Mein kint sein sich pleich durr vnd kalt Graw treg poß neydig trawrich vnd alt … 11v–12r Jupiter; 12v–13r Mars; 13v–14r Sol; 14v–15r Venus; 15v–16r Merkur; 16v–17r Luna
3. 18v–25r Darstellungen aus dem höfischen Bereich, über Doppelseiten
18v–19r Badehaus; 19v–20r Wasserburg; 20v–21r Krönleinstechen (ein Turnierreiter trägt eine nicht identifizierte Devise?); 21v–22r Scharfrennen (auf 22r: eine Lanze mit Fähnchen, darauf: AWNO, auf einer Armbinde: WE); 22v–23r Hochwildjagd; 23v–24r »Niederwildjagd«; 24v–25r Liebesgarten mit Pumpwerk
4. 26r–33v Diätetik, Medizinische Rezepte (Pestrezepte, Lasstraktat, Schröpfstellen, Pflaster, gegen Warzen etc.), Rossarznei, Rezepte für Kosmetik (Duftwasser, Seifen etc.), Perlenimitation, Rezepte für Wein und Essig, Färbemittel, Kochrezepte, hauptsächlich deutsch, teilweise lateinisch; 34r Ganzseitige Darstellung eines Spinnrads
5. 34v–44v Montan- und Münzwesen
Bildteil: 34v Ganzseitiges Wappen des Auftraggebers, nicht koloriert; 35r Bergwerk; 35v Das Innere eines Hüttenwerks mit Treibofen; 36r Das Innere eines Hüttenwerks mit Darstellung des Saigerverfahrens, von Geräten, Werkzeug etc.; 36v Stampfwerk für die Erzwäsche und Transmission; 37r–v Verschiedene Gebläse; 38r Pumpanlage; 38v Ramme
40r–44v Textteil zum Hütten- und Probierwesen, deutsch: 40r–v Fluß zum berckwergk …; Arbeit mit Kupfer, Gold, Öfen etc.; 41r alún zu machen; 42r von der muntze; 43r–44v Werttabelle in zwei Spalten: Golt zu 12 karat … Golt zu 19 karat …
6. 48r–56v Kriegstechnischer Bildkatalog, Bearbeitung von Johannes Formschneider, Büchsenmeisterbuch
siehe Nr. 39.5.10.
7. 57r–60r Ordnung für einen Burghauptmann mit Feuerwerksrezepten, nicht illustriert: Item dis hort ein eim büchssenmeister zuͦ: Er sol got vor augen han; wann so er mitt der buchsen vnd pulver umgeht …
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, 63 Blätter, 290–293 × 191–197 mm, Text in der Regel einspaltig, Kursive in Braun und Rot, Zierinitialen, von zwei Händen: 1–33 und 34–65. Schreibsprache: nordbairisch (Teil 2), ostfränkisch (Teile 4, 5, 7).

II. Bildausstattung:

47 ganzseitige Federzeichnungen, teilweise koloriert. Ein Zeichner (nach Hess [1994] sind mehrere Hände zu unterscheiden).

Der unbekannte Zeichner wird mit dem Notnamen »Hausbuchmeister« oder auch »Meister des Amsterdamer Kabinetts« bezeichnet. Aufgrund seiner Strichführung und des reduzierten Einsatzes von Farbe hat man die Darstellungen mit der Technik der Kaltnadelradierung in Verbindung gebracht und versucht den Zeichner mit Künstlern zu identifizieren, die im Bereich der Druckgraphik tätig waren, wie etwa Martin Schongauer. Über längere Zeit wurde der aus Utrecht stammende Graphiker Erhard Reuwich als möglicher »Hausbuchmeister« diskutiert. Der Niederländer war hauptsächlich im Rheingebiet um Mainz tätig. Der Stil der Darstellungen im Hausbuch wird unter anderem als »mittelrheinisch« bezeichnet. Für einige Motive wurden Kupferstiche des »oberrheinischen« Meisters E. S. als Vorlagen verwendet (Artisten 3r: Lehrs 241–247, Hintergrundfiguren 3r: Lehrs 157, Steinwerfer 16v: Lehrs 246, Liebesgarten 24v: Lehrs 215, vgl. Lehrs 1–9 [1908–1934]), wobei weniger ganze Kupferstiche kopiert, sondern einzelne Bildelemente des Meisters E. S. zu einer neuen Komposition zusammengefügt wurden. Der Stil des Hausbuchmeisters könnte demnach auch als »oberrheinisch« bezeichnet werden. Die luxuriöse Mode, die die Figuren tragen, lässt ebenfalls keine stilistische Zuordnung zu. Die langen, schlanken Figuren mit enger Beinkleidung der Männer und spitz zulaufenden Schnabelschuhen verweisen auf Burgund, die dortige Mode fand weite Verbreitung in Europa (Boon [1985] S. 52–61.). Die Einordnung des Stils zu einer bestimmten Kunstlandschaft erfolgte mitunter je nachdem, für welche Nation die Forschung den Künstler gewinnen wollte (Hutchison [1985] S. 11–29).

Format und Anordnung, Bildaufbau und -ausführung, Bildthemen:

Federzeichnungen gerahmt und ungerahmt, teilweise koloriert, das Wappen (2r), die Artisten (3r) und das Bergwerk (35r) sind die einzigen nahezu vollständig kolorierten Darstellungen (das Wappen 2r wird auf 34v relativ exakt kopiert wiedergegeben, diesmal unkoloriert), nur bei den Zierinitialen und Ranken wurden Deckfarbe und Blattgold aufgetragen. Zum kriegstechnischen Teil siehe auch: Nr. 39.5.10.

Die verschiedenen Themen (siehe oben: Inhalt) werden durch den unterschiedlichen Bildaufbau sichtbar.

– Die sieben Planeten und ihre Kinder 10v–17r sind immer auf der Rectoseite abgebildet, auf der verso-Seite befindet sich der Text: Beschreibung der Planeten und der Eigenschaften der Menschen, die unter der Planetenherrschaft geboren wurden (Planetenkinder). Die Planeten reiten (was ikonographisch ungewöhnlich ist: Venus und Mars [1997] S. 42–43) auf prächtig geschmückten Pferden über den Himmel (obere Bildzone), neben ihnen ziehen die Symbole der Sternzeichen auf (Saturn: Steinbock, Wassermann; Jupiter: Schütze, Fisch; Mars: Widder, Krebs; Sol: Löwe; Venus: Waage, Stier; Merkur: Zwilling, Jungfrau; Luna: Skorpion). Auf der Erde (untere Bildzone) agieren die Planetenkinder weniger in der ihnen im Text zugeschrieben Weise, sondern nach überlieferter ikonographischer Tradition, die dem Zeichner unter anderem aus Blockbüchern geläufig war ( Schreiber, Handbuch 4 [1927/1969] Nr. 1917n: Holzschnitte mit den sieben Planeten und handschriftlicher Text, um 1470: Zürich, Zentralbibliothek, Ms. C 101, 8v–15r; Fragment eines Planeten-Blockbuchs eingeklebt in die Inkunabel Leonardus de Utino: Sermones aurei de sanctis. Ulm, 1475. GW M17903). So fallen die Saturnkinder unter anderem dem Henker und den Richtern zum Opfer, die Kinder des Jupiter und der Luna jagen, während der Mars kriegerische Kinder hervorbringt. Sols Kinder musizieren, ringen und fechten; musizierend dargestellt sind auch die Venuskinder, die sich ins Liebesbad zurückziehen oder tanzen. Merkurs Kinder sind den freien Künsten und dem Essen zugetan.

Der Text der Planeten beginnt immer mit einer Zierinitiale, teilweise mit Gold hinterlegt. Im Initialkörper oder an dessen Hintergrund sind bereits florale Muster angelegt, die in ein vielfarbiges, von Blumen mit goldenen Stempeln geschmücktes und zum Teil mit Vögeln besiedeltes Rankenwerk übergehen (14v Falke [?], 15v und 16v Pfau, 16v ein Jüngling wirft einen Stein nach dem Vogel). Die Schwünge der Ranken werden von den kalligraphischen Schwüngen der einfarbigen Schrift aufgenommen. Die Verse zu den Planetenkindern beginnen jeweils mit einer einfacheren kalligraphischen Initiale.

– Die folgenden Darstellungen von Szenen aus dem höfischen Leben sind über sieben Doppelseiten 18v–25r angelegt. Einzelne Figuren sind hier in Gesicht oder Kleidung koloriert, auf der letzten Doppelseite auch einige Elemente der Landschaft (Rasen, Fluss, Vögel). Die Darstellungen wurden zunächst mit einer Abbildung des zeitgenössischen Lebens gleichgesetzt, wohingegen die moderne Forschung betont, dass hier ein höfisch-ritterlicher Idealzustand abgebildet wurde (Moxey [1985] S. 38–51; Gombrich [2000] S. 85–87). Vielleicht ist es kein Zufall, dass den sieben Planeten und ihren Kindern, sieben Darstellungen aus dem ritterlichen Leben folgen, die einige Bildmotive noch einmal aufgreifen und entfalten. Auffällig scheint jedenfalls, dass im Hintergrund der Hochwildjagd (23r, Abb. 49a.2) ein für diese Szene im Grunde unbedeutender Nebenschauplatz eröffnet wird: eine Galgenszene mit Rad, wie sie bereits bei den verbrecherischen Saturnkindern (11r) im Hintergrund zu sehen war. Mann und Frau auf der Jagd und dabei gemeinsam zu Pferd kommen bei der Hochwildjagd (23r) und beim Jupiter (12r) vor. Das gemeinsame Jagen ist innerhalb der Handschrift primär als Anspielung auf eine erfolgreiche Liebesjagd und Erstürmung der Minneburg zu verstehen. Gemeinsames Tanzen, Musizieren, Essen, Baden spielt bei den Planetenkindern und in diesem höfischen Teil der Handschrift eine zentrale Rolle.

– Die Darstellung des Pumpwerks im Liebesgarten (25r) leitet über zum nächsten Bildteil (34r–38v), der sich mit technischen Geräten und ihrer Nutzung auseinander setzt. Das Spinnrad auf 34r ist das erste bekannte Bild eines Spinnrads mit Fußantrieb. Figürliche Darstellungen kommen nur noch auf 35r (Bergwerk) und 35v (Gesprächspaare) vor, auch Farbigkeit kommt nur wenig zum Einsatz. Die Perspektive bereitet dem Zeichner wegen des komplexen Aufbaus der hier gezeigten Objekte manchmal Schwierigkeiten. Um den Bildraum für die Darstellungen größerer Geräte optimal ausnutzen zu können, dreht er das Buch manchmal um 90 Grad (35v, 36r, 36v). Dieser Bildteil ist in der Ausführung den kriegstechnischen Darstellungen (48r–56v) sehr ähnlich, wobei hier für die langen Kriegszüge sogar Falttafeln verwendet werden.

Diverse Bildmotive »wandern« themenübergreifend durch die gesamte Handschrift (Artisten, Jäger, Krieger, Musiker oder ein am Rande stehendes Gesprächspaar, das offenbar den Bildinhalt bespricht), so dass die Bilder eine Brücke zwischen den verschiedenen Inhalten schlagen können. Viele Kompositionen sind aus kleineren Einzelmotiven zusammengesetzt, die mitunter aus der Druckgraphik stammen. Manche Szenen finden in einer weiten, ausdifferenzierten Landschaft statt, deren Aufbau kleine Räume für die Handlung eröffnet (z. B. 3r, 17r, 23r, 35r). Auf einigen Seiten bleibt die Landschaft bzw. der Raum eine bloße Andeutung oder es existiert gar kein Hintergrund (z. B. 6r, 21r, 37v, 53v).

Farben:

Blau, Violett, Rot, Gelb, Grün, Weiß, Schwarz, Schwarzbraun, Gold, Silber.

Faksimile:

Das Mittelalterliche Hausbuch aus der Sammlung der Fürsten zu Waldburg Wolfegg, Band I: Faksimile, Band II: Kommentarband, hrsg. von Christoph Graf zu Waldburg Wolfegg. Mit Beiträgen von Gundolf Keil, Eberhard König, Rainer Leng, Karl-Heinz Ludwig und Christoph Graf zu Waldburg Wolfegg. München / New York 1997.

Literatur:

Vom Leben im späten Mittelalter (1985) Nr. 117 mit zahlreichen Abb.; Jane Campbell Hutchison: Ex ungue leonem: Die Geschichte der Hausbuchmeisterfrage. In: Vom Leben im späten Mittelalter (1985), S. 10–29; K. G. Boon: Der Meister des Amsterdamer Kabinetts oder der Meister des Hausbuches und sein Verhältnis zur Kunst der burgundischen Niederlande. In: Vom Leben im späten Mittelalter (1985), S. 52–61; Keith P. F. Moxey: Das Ritterideal und der Hausbuchmeister (Meister des Amsterdamer Kabinetts). In: Vom Leben im späten Mittelalter (1985), S. 39–51; Venus und Mars (1997) mit zahlreichen Abb.; Waldburg (1997), Kommentar; Gundolf Keil: ›Wolfegger Hausbuch‹. In: 2VL 10 (1999) Sp. 1322–1326; Ernst H. Gombrich: The Uses of Images. Studies in the Social Function of Art and Visual Communication. London 1999.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 49a.2: 23r. Hochwildjagd. Aus: Venus und Mars (1997) S. 63.

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Abb. 49a.2.