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68.1.1. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2675*

Bearbeitet von Martin Roland

KdiH-Band 7

Datierung:

Um 1415/25.

Lokalisierung:

Salzburg.

Besitzgeschichte:

Über mittelalterliche Besitzer ist nichts bekannt. 1r verschiedene Eintragungen (u. a. auch Namen; 16. und 17. Jahrhundert): Der älteste Hinweis offenbar ein 1503 datierter Schild mit den Begleitbuchstaben I und S; vielleicht etwa gleichzeitig auch die dilettantische Federzeichnung eines Ritters mit aufwendiger Helmzier. Auf 8v Federproben, eine 1543 datiert; Reste eines abgebrochenen Siegels; ferner ist die Blotius-Signatur 4738 eingetragen, die belegt, dass sich die eine Lage, die die ›Königin von Frankreich‹ einnimmt, bereits 1576 in der Hofbibliothek befand. Der entsprechende Eintrag im Blotius-Katalog lautet: Q 4738: Reginae Galliae, Ducissae Bavariae, historia mutila (ut videtur) et imperfecta cum imaginibus, in folio scriptus liber in charta [in Wien, Cod. 13525 korrekt: membrana], iunctis multiis aliis scriptis germanicis et francis. Regis Henrici Galliarum an die Reichs Chuer- und Furssten, auch Stette, sambt derselben Anntwort, in folio in charta (nach Hermann Menhardt: Das älteste Handschriftenverzeichnis der Wiener Hofbibliothek von Hugo Blotius 1576. Wien 1957 [Österreichische Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Klasse, Denkschriften 76], S. 87). Der hier dokumentierte, dann schon vor der nächsten Katalogisierung durch Sebastian Tengnagel zu Beginn des 17. Jahrhunderts getrennte Überlieferungskontext erlaubt einen seltenen Einblick, wie literarische Kurztexte überliefert wurden (zu den neuzeitlichen Einträgen ausführlich Roland in: MeSch VI).

Inhalt:
1v–8r Schondoch, ›Die Königin von Frankreich‹
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, acht Blätter (eine Lage, nach Bl. 8 wurden zwei wahrscheinlich leere Blätter entfernt), 275–290 × 185–215 mm, zweispaltig, 35 abgesetzte Verse, Bastarda von einer Hand, blaue Überschriften (2r zum Textanfang und 8r zur letzten Miniatur), die erste Majuskel von jedem der abgesetzten Verse rot gestrichelt. Textbeginn (2r) mit vierzeiliger rot-blau gespaltener Fleuronné-Initiale. Das Ornament stimmt mit Formen einer Wiener Gruppe allgemein überein, die vor allem in den 1420er Jahren aktiv ist (vgl. MeSch V [2012] Kat.-Nr. 42–45), ist jedoch so reduziert, dass eine unmittelbare Ableitung nicht möglich ist.

Schreibsprache:

bairisch-österreichisch. Peter Wiesinger bestimmt das Schreibverhalten als mittelbairisch und sieht keine Möglichkeit einer näheren Lokalisierung im Bereich von München im Westen und Wien im Osten. Die Analyse von Schwarzinger (1969) hält er für methodisch unhaltbar (Mail vom 30.5.2005).

II. Bildausstattung:

Acht gerahmte Deckfarbenminiaturen.

Format und Anordnung:

Die Titelminiatur 1v ganzseitig, die sieben weiteren doppelspaltig und jeweils die obere (8r die untere) Hälfte des Schriftspiegels einnehmend.

Bildaufbau und -ausführung:

Seit Benesch (1930) wird der Codex als salzburgisch gesehen, auch seine Datierung (um 1425/30) trifft in etwa zu. Stange (1960) schlägt eine Frühdatierung um 1410 vor; er geht so weit, Cod. 2765*, die Berliner Epiphanie (Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz) und die Votivtafel des Johannes Rauchenberger (Freising, Diözesanmuseum) einer (!) Salzburger Hand zuzuordnen. Gemeinsames stellt er zu Recht in der malerischen Grundhaltung fest, der Gewandstil ist freilich kaum zu vergleichen, und die Frühdatierung vor allem des Berliner Bildes ist wohl kaum aufrecht zu erhalten. Schmidt (1967) verweist auf Stange, datiert jedoch, so wie auch wir, um 1420. Ziegler (1977) spricht sich für Wien als Entstehungsort aus. Auch wenn die Lokalisierung abzulehnen ist (siehe die Argumentation in MeSch VI), ist ihr doch zu Gute zu halten, erstmals auf den starken Wiener Einfluss hingewiesen zu haben.

Das zentrale Stilmerkmal ist die stark malerisch geprägte Grundhaltung. Weiters sind die betont plastische Modellierung sowohl der Figuren als Ganze als auch der einzelnen Falten hervorzuheben, die raumhaltigen Bewegungen, die Raumdarstellung sowie realistische Details zu nennen. Charakteristisch sind die kleinen runden Köpfe und Gewänder, die durch einfach fließenden, sich in Parallelfalten legenden Stoff bestimmt sind. Wenn das Gewand am Boden aufkommt, läuft es in flachen Zipfeln aus (1v: Königin, 7v: kniender König). Aufwendigere Faltenkonfigurationen finden sich eigentlich bloß bei der Figur der Königin auf 4r, wo ornamentale Saumschlingen wiedergegeben sind. Gerade diese Figur lässt jedoch unmittelbare Vergleiche mit einem heute sekundär verwendeten Kanonbild (Wien, Cod. 1796; siehe MeSch VI) zu. Neben der fein strichelnden Maltechnik sind die identische Farbigkeit, die Proportionen, die Armhaltung, die Modellierung der Falten und eben die ornamentalen Säume zu nennen.

Dieser Figurenstil und die malerische Grundhaltung bestimmen die erste Phase der Salzburger (Tafel-)Malerei. Dabei scheint der Vergleich mit der – innerhalb der Gruppe wohl am spätesten zu datierenden – Rauchenbergerʼschen Votivtafel wegen deren vergleichsweise üppigeren Faltenstils weniger treffend als jener mit dem vielleicht frühesten Werk, dem Kastenaltärchen von Sankt Servatius auf dem Streichen in Oberbayern (im Detail siehe MeSch VI). Die plastisch durchgebildeten Figuren beschränken sich auf eine flache bildparallele Bühne. Dort bewegen sich die Protagonisten jedoch erstaunlich raumhaltig; zu erwähnen ist etwa der König, der den Zwerg am Bein gepackt hat (3r). Ohne westliche Anregungen sind solche Stilmerkmale kaum vorstellbar. Abgesehen von dieser (westlichen) Grundhaltung ist ein auffälliges Einzelmotiv bemerkenswert: Das von rückwärts gesehene Kind (7v), das den Kopf zu seiner Mutter hochbiegt und dem Beschauer so sein Gesicht teilweise zuwendet. Solche von italienischen Motiven abzuleitende Figuren treten im Salzburger Kontext als Teil von Figureninitialen des 1416 datierten Mondseer Urbars auf (Mondsee, Heimat- und Pfahlbaumuseum, ohne Sign. [Leihgabe Graf Almeida], 60r, 68r; vgl. Charlotte Ziegler: Das Mondseer Urbar von 1416. Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 31 [1977], S. 115–125). Tiefenraum wird vor allem bei der Architekturdarstellung spürbar. Neben dem Raumkonglomerat der Titelminiatur sind die Darstellungen der königlichen Bettstatt, des sechseckigen Kampfplatzes und der schräg wiedergegebenen Verkaufsläden zu erwähnen. Auch hier sind wohl oberitalienische Vorbilder anzunehmen; vgl. z. B. den Wiener ›Tacuinum sanitatis‹ (Wien, Cod. Ser. nov. 2644), wo freilich die Verkaufsläden bildparallel angeordnet sind.

Zusammenfassend ergibt sich ein Maler, der am Beginn eines von Wien ausgehenden Stils steht, dessen individuellen Merkmale jedoch eindeutig auf Salzburg als Entstehungsort verweisen.

Bildthemen:

Die narrative Prägnanz der Kurzerzählung wird durch den Illustrator treffend und dicht ins Bild gesetzt. Die acht Bilder geben den Handlungsablauf mit einigen dem Medium Bild geschuldeten Veränderungen wieder. Man kann der Handlung – wenn man den Text kennt – auch ohne Bildtituli folgen und die Geschichte anhand der Bilder nacherzählen. Die erste Miniatur (1v) erscheint durch ihre Größe als Titelbild und stellt die Hauptkontrahenten der Handlung gegenüber. Das Titelbild erläutert durch den Einblick in das Schlafgemach den Charakter des Gesprächs zwischen Königin und Marschall und nimmt damit, zusätzlich zu seiner Funktion als Titelbild, auch die Erzählung auf. Dann folgen jeweils eine bzw. zwei Miniaturen auf jeder aufgeschlagenen Doppelseite. Die beiden Miniaturen 2v–3r zeigen jeweils links, also im Schlafgemach, Handlung und rechts Gespräch, wobei zentrale Dialoge (König und Königin im Schlafgemach nach der Tötung des Zwerges; König und Herzog Leopold) im Bild keine Berücksichtigung fanden. Die folgende Miniatur (4r) weist dem Hund des Ritters eine zentrale Rolle zu, im Text wird er an dieser Stelle noch gar nicht erwähnt. Diese Abweichung vom Text erweist im Bild die Zugehörigkeit des Hundes zum getöteten Ritter und macht so die folgende Zweikampfszene (5v) für den Betrachter verständlich. In der Bilderzählung rückt der im Text parallel laufende Erzählstrang (Schicksal der Königin im Wald), der in der Miniatur 4r nur angedeutet wird (sie versteckt sich abseits des Kampfes im Wald), erst mit der Marktszene (6v) ins Zentrum. Diese für die Klarheit der Bilderzählung wichtige Entflechtung wurde durch das einzige Seitenpaar ohne Illustration erkauft (4v–5r). Die glückliche Heimkehr wird im Text nur beiläufig in zwei Versen gestreift. Die entsprechende Miniatur (8v) bildet durch die Erzählrichtung von rechts nach links und durch ihre Stellung am Text- und Seitenende einen optisch klar definierten Schlusspunkt der Bilderzählung. Die relative Textferne der Darstellung mag auch dazu geführt haben, dass diese Miniatur als einzige mit einer Bildbeischrift versehen wurde.

Farben:

Trotz des schlechten Erhaltungszustandes vollständig deckend, kräftig und leuchtend. Der Grund der Miniaturen jeweils dunkelblau, die Darstellungen beherrscht von sattem Grün (Terrain, Bäume, Vorhang des Bettes der Königin, vor allem Gewand des Marschalls [außer 1v: hier Rot]), Blau (Gewand der Königin, oft auch des Königs, dieser mitunter auch Altrosa gekleidet), Grau (Gewand des Köhlers, sowie jenes der Königin während ihres Aufenthalts bei diesem) und leuchtendem Orangerot (Gewänder und Dachziegel). Pferde und Architektur hellbraun bzw. hellgrau.

Literatur:

Menhardt 1 (1960) S. 87. – Otto Benesch: Neue Materialien zur altösterreichi-schen Tafelmalerei. Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen in Wien N. F. 4 (1930) S. 155–184, bes. S. 170, 172f.; Kurt Holter / Karl Oettinger: Les principaux manuscrits à peintures de la Bibliothèque nationale de Vienne 4: Manuscrits allemands. Bulletin de la Société Française de Reproductions des Manuscrits à Peintures 21 (1938), S. 57–155, bes. S. 99 f.; Stange 10 (1960) S. 14, Abb. 27; Schmidt (1967/2005) bes. S. 164, 167f. / S. 73f.; Carin Schwarzinger: Cod. Vind. Ser. Nov. 2675* (Hist. prof. 545). Die Königin von Frankreich und der ungetreue Marschall. Text, Orthographie, Reime. Phil. Diss. (masch.) Wien 1969; Kurt Holter: Buchmalerei. In: Spätgotik in Salzburg. Die Malerei 1400–1530 [Ausstellungskatalog Salzburg]. Salzburg 1972, S. 216f., 221–257 (der Abschnitt »Die Werkstatt der Grillinger-Bibel« [S. 217–221] von Barbara Wohlgemuth), bes. S. 221–224 (Nachdruck in Holter [1996] Bd. 2, S. 610–652, bes. S. 617); Strippel (1978) S. 42–44; Gerhard Schmidt: Egerton Ms. 1121 und die Salzburger Buchmalerei um 1430. Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 39 (1986), S. 41–57, bes. S. 55 (Nachdruck in Schmidt [2005] Bd. 1, S. 401–418, bes. S. 416); Martin Roland: Buchmalerei. In: Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, Bd. 2: Gotik. Hrsg. von Günter Brucher. München 2000, S. 132–161, 490–520, bes. S. 523; Christina Weiler: Die Geschichte der Königin von Frankreich (Wien, ÖNB, Cod. 2975*). Wie Bilder erzählen. Diplomarbeit (masch.) Wien 2009; Eichenberger (2015) S. 340f.; Martin Roland: Cod. 2675*. Künftig in: MeSch VI.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Taf. XLIII: 4r. Hund des vom Marschall überfallenen Ritters versucht vergeblich seinem Herrn zu helfen; die Königin im Wald versteckt.

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Taf. XLIII.