In dem Versepos wird die mit dem Sarazenenkönig Beliant verheiratete heidnische Königin Libanet von dem christlichen Ritter Wittig im fernen Orient umworben. Im Turnier unterlegen und auf Bitte seiner Gattin von Wittig verschont, lädt der Gedemütigte, dennoch die Überlegenheit der Gegner anerkennend, diese an seinen Hof ein. Die Abwesenheit des Sarazenen benützend gesteht Wittig Libanet seine Liebe, die aber aus Loyalität zu ihrem Gatten mit Empörung reagiert. Wittig erlebt in den folgenden Jahren der Bewährung eine Läuterung, und Libanet, erkrankt vor Kummer um die Geschicke des Ritters, lässt ihn an den Hof zurückholen. Sie stellt ihn vor die Entscheidung, sie entweder über oder unter dem Gürtel zu besitzen. Wittig wählt die »obere Hälfte«, gewinnt aber listig die untere dazu. Die beiden Liebenden fliehen in die Heimat Wittigs, wo Libanet Christin wird. Beliant, der ihr folgt, um sich zu rächen, erlebt eine weitere Niederlage, verliebt sich am Hof Wittigs in dessen Schwester und tritt seinerseits zum Christentum über, um heiraten zu können. Der Text behandelt vor allem Motive ritterlichen Verhaltens, Ehr- und Treuebeziehungen. Die wahre Heldin ist die Heidin, wogegen die beiden Kontrahenten unterschiedliche Läuterungsprozesse durchlaufen müssen (Classen [2005] S. 67 ff.).
Überliefert sind vier unterschiedliche Redaktionen (Schirmer [1981] Sp. 615, [2004] Sp. 601; Pfannmüller [1911] S. 1–8). Nur die ›Heidin‹ II (eine erweiterte, um 1280 in Bayern entstandene Fassung) hat eine illustrierte Abschrift hervorgebracht, den Heidelberger Cod. Pal. germ. 353, der in dem nach dem einzig bekannten Schreiber (Ludwig Henfflin, vgl. Heidelberg, Cod. Pal. germ. 67, 102r) als Henfflin-Werkstatt bezeichneten Umfeld entstand. Sie ist mit ihren nur 70 Blättern in relativ kleinem Format und ihren 81 Illustrationen eine ungewöhnlich reiche Bilderhandschrift. Die meisten Bilder sind der Gruppe A, der Hauptgruppe der Henfflin-Werkstatt, zuzuschreiben, die sich in den meisten der mittlerweile neun bekannten Henfflin-Handschriften findet. Wasserzeichen, vor allem aber die im Stil von A gefertigten Illustrationen haben zur Konstruktion dieser Werkstatt Anlass geboten. Das Werkstattkonstrukt wird so wesentlich vom Illustrationsstil A getragen, dass neuerdings vorgeschlagen wurde, diesen Zeichner als »Meister der Henfflin-Werkstatt« zu benennen und nur Handschriften, die auch dessen Stil tragen, unter dem Begriff Henfflin-Werkstatt zu subsumieren (Rudolph [2008] S. 7).
Literatur zu den Illustrationen: Karl-Heinz Schirmer: ›Die Heidin‹. In: 2VL 3 (1981) Sp. 612–615, 2VL 11 (2004) Sp. 601. – Albrecht Classen: A late-medieval experiment in cultural rapprochement between Christians and Saracens. Medieval Encounters 11 (2005), S. 50–70. – Pia Rudolph: Buchkunst im Zeitalter des Medienwandels. Die deutschsprachigen Bibelcodices der Henfflin-Werkstatt vor dem Hintergrund der spätmittelalterlichen Ikonographie. Magisterarbeit 2008 (online unter: http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/volltexte/2009/740/). – Christian Kiening: Die Heidin. In: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraums. Begründet von Walther Killy. 2. Aufl. hrsg. von Wilhelm Kühlmann. Bd. 5, Berlin 2009, S. 155 f.