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45.2.1. Berchtesgaden, Schlossmuseum (Wittelsbacher Ausgleichsfond), Inv.-Nr. B II 31–34

Bearbeitet von Peter Schmidt

KdiH-Band 6

Datierung:

Letztes Drittel 15. Jahrhundert mit Nachträgen des frühen 16. Jahrhunderts.

Besitzgeschichte:

König Maximilian I. Joseph von Bayern 1814 vom Freiherrn von Hallberg-Broich geschenkt. Dessen eigene Angabe (abgedruckt bei von Rumpler [1891], Textband, S. 3), er hätte den Rotulus beim Einsturz einer alten Mauer seiner Burg zu Brachelen im Herzogtum Jülich gefunden, sind von fraglicher Glaubwürdigkeit. Vom König dann dem Geheimen Hausarchiv in München übergeben. Eigentümer seit 1923 der Wittelsbacher Ausgleichsfond. Vermutlich seit den 1920er oder 1930er Jahren auf Schloss Berchtesgaden.

Inhalt:
1. Blatt 1 Geschichte des römischen Landvogts Philippus, aus: Hans Ebran von Wildenberg, ›Chronik von den Fürsten aus Bayern‹

Ausgabe Roth [1905] S. 37 f.

2. Blatt 2–11 Stammbaum des Hauses Bayern von Garibald I. († um 593) und Arnulf von Metz († wohl 640) bis ins ausgehende 15. Jahrhundert (Söhne des Pfalzgrafen Philipp des Aufrichtigen, mit jüngeren Nachträgen)

mit Tituli zu den einzelnen Herrschern und kurzen narrativen Passagen, teils aus (einer frühen Fassung von?) Hans Ebran von Wildenberg, ›Chronik von den Fürsten aus Bayern‹

I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, ursprünglich ein aus elf Blättern (nicht 13, wie Rumpler und Erichsen [siehe unten Literatur] meinen, die vermutlich zwei Falze für Blattgrenzen hielten) zusammengeklebter Rotulus, heute in vier Stücke zerschnitten, die auf Papier befestigt und auf Holz aufgezogen in Rahmen aufbewahrt werden; ursprünglich mindestens 6652 mm lang, 320–650 mm breit (die genauen Maße wegen der unter den Rahmenleisten verborgenen Ränder nicht zu ermitteln, hier die addierten Rahmeninnenmaße). Tafel I (B II 31): Länge nach sichtbarem Rahmeninnenmaß 1310 mm, Blatt 1 bis 3 und unterster Rand von Blatt 4; Tafel II (B II 32): 1945 mm, Blatt 4 bis 6; Tafel III (B II 33): 1677 mm, Blatt 7 bis ca. ¾ von Blatt 9; Tafel IV (B II 34): 1700 mm, ca. ¼ von Blatt 9 bis Blatt 11. Blatt 1, als einziges vollständig beschriftet, ist deutlich kleiner als die anderen und in anderer Leserichtung angeklebt (in Rollrichtung zu lesen, die anderen Blätter dagegen lotrecht dazu). Es enthält den Beginn des Passus über die Herrschaft der römischen Landvögte in Bayern aus der ›Chronik von den Fürsten aus Bayern‹ des Ebran von Wildenberg. Dennoch handelt es sich nicht etwa um das Fragment eines Codex, das entgegen dem Layoutplan des Rotulus angeklebt wurde, sondern die Beschriftung geht über die Klebekante hinaus auf das erste in Leserichtung des Stammbaums ausgerichtete Blatt (Blatt 2). Es war also bereits angeklebt, als es beschrieben wurde. Die Falzspuren der Pergamentstücke 3 und 5 legen nahe, dass der Rotulus zumindest vorübergehend zerlegt und die einzelnen Pergamentstücke getrennt aufbewahrt worden sein müssen. Aus Blatt 6 ist ein Stück herausgeschnitten worden, wodurch die Vertreter zweier Generationen getilgt wurden. Die Stücke 1 und 2 haben größere Fehlstellen und sind rückseitig mit Pergament und Papier hinterklebt.

Die Texte des Hauptstücks des Rotulus – bestehend aus den kurzen Namensbezeichnungen der gemalten Figuren in roter Tinte, den Namen in den unfigürlichen Medaillons und mehrzeiligen erzählenden Texten zu ausgewählten Personen oder Gruppen in brauner Tinte – stammen von drei Schreiberhänden. Von der ersten Hand stammen bis Blatt 4 alle Texte, auch die Rubra. Die zweite Hand setzt auf Blatt 5 mit dem erzählenden Text zu Arnulf von Kärnten (* um 850) ein, während hier die Namensbeischriften noch von der ersten Hand stammen. Ab Blatt 6 sind keine Rubra mehr angebracht, die Namen nachgetragen von einer dritten Hand in flüchtiger Kursive, von dieser Hand auch die Namen in den Medaillons, während die erzählenden Absätze noch von der zweiten Hand stammen. Die jüngste in den nachgetragenen Medaillons verzeichnete Generation ist die der drei Söhne des Pfalzgrafen Rupprecht, Georg (*1500), Ottheinrich (*1502) und Philipp (*1505). Einige gekritzelte Ergänzungen in Kursive des fortgeschrittenen 16. Jahrhunderts.

Schreibsprache:

mittelbairisch.

II. Bildausstattung:

Stammbaum mit 82 Halbfiguren, nur die erste Generation – die Stammväter der Agilolfinger (Garibald I., links) und der Arnulfinger (Arnulf von Metz, rechts) – als sitzende Ganzfiguren, Deckfarbenmalerei, fünf Hände. Ab dem Blatt 6 sind Teile der Genealogie unfigürlich als Medaillons mit Namenszügen im Inneren abgekürzt, auf Blatt 7 und Blatt 11 (ab den Nachkommen Stephans von Niederbayern, Ludwigs des Bayern und Rudolfs I. von der Pfalz) nur noch solche Medaillons.

Format und Anordnung:

Die Äste des Stammbaums entspringen jeweils in der Brust der Figuren und tragen am Ende Blütenkelche, in denen dann die Halbfiguren der Nachfahren sitzen. Neben oder auf den Kelchen die Wappen der Personen. Diese tragen hohe Pelzhüte, falls nicht die ihrem Stand entsprechenden Kopfbedeckungen (Kronen oder Mitren) und gegebenenfalls Herrscherinsignien. Gruppen von Geschwistern sitzen immer in einem gemeinsamen Blütenkelch und sind sich meist im Gespräch zugewandt. Die unfigürlichen Medaillons mit spiralig strukturiertem grün-gelbem (auf dem jüngsten Blatt nur grünem) Rand tragen im Inneren den in Kursive angebrachten Namen, nur im Falle entsprechender Ämter eine Krone oder Mitra in kolorierter Federzeichnung. Bis Blatt 5 über oder neben jeder Figur der Name in roter Tinte, dem manchmal eine kurze Charakterisierung der Person und ihrer Taten angeschlossen ist. Ab Blatt 8 zu jeder Gruppe von Geschwistern je ein erzählender Textabsatz in brauner Tinte zu ihrem Leben, auf den vorausgehenden Pergamentstücken nur zu ausgewählten Personen und Gruppen.

Die meisten dieser Kurztexte stimmen weitgehend mit der Chronik Hans Ebrans von Wildenberg überein; doch hat schon Roth (1905, S. XXXXI) gleichzeitig grundlegende Abweichungen konstatiert, aus denen er schloss, dass die Texte nicht aus der vollendeten Chronik Ebrans abgeschrieben sein können, sondern parallel zu deren Entstehung anzusetzen sind. Die eine Schlussfolgerungen war, dass das Konzept des Rotulus von Ebran selbst zu einer Zeit entwickelt wurde, als seine Chronik noch nicht in der heute bekannten ersten Endredaktion fertiggestellt war (so Johanek in 2VL 2 [1980], Sp. 311). Tatsächlich scheint der Autor seinen Text noch zu Lebzeiten mehrfach überarbeitet zu haben. Die andere Erklärung war die, dass das Konzept für die Rolle zwar nicht von Ebran selbst, aber in engem Austausch mit ihm während des Arbeitsprozesses an seiner Fürstenchronik erstellt wurde (Roth [1905] S. XXXX f.). Die stilkritische Datierung der älteren Schicht von Miniaturen legt die Arbeit an dem Rotulus deutlich vor der Fertigstellung der Redaktion A von Ebrans Werk (1479) nahe. Da eine Datierung der ältesten Malerhand noch in die 1460er Jahre möglich wäre (Beziehungen zum Spätwerk des Meisters der Pollinger Tafeln), keinesfalls später als in die 1470er, ist die Vermutung von Roth (1905, S. XXXXI) ernst zu nehmen, dass die Arbeiten an dem Stammbaum vielleicht zu einem Zeitpunkt begonnen wurden, als Ebran selbst erst mit den Vorarbeiten zu seinem Werk beschäftigt war.

Bildaufbau und -ausführung, Bildthemen:

Die Miniaturen lassen zwei Phasen der Entstehung des Rotulus erkennen. Blatt 2 bis 6 von vier Händen, die aber an einem gemeinsamen Konzept arbeiteten, stilistisch datierbar in die 1460er bis 1470er Jahre (Hand I: Blatt 2 bis untere Hälfte von Blatt 3; II: obere Hälfte von Blatt 3; III: Blatt 4 und 5; IV: Blatt 6). Ihre Malweise ist ähnlich, unterscheidet sich aber in der plastischen Durcharbeitung vor allem der Gesichter. Den Planwechsel markiert Blatt 7 (Tafel III unten), wo das Konzept eines figürlich ausgestatteten Stammbaums vorübergehend aufgegeben wurde und die Personen nur durch Medaillons mit Namen und einigen Kronen vertreten sind. Danach kehrte man aber zum ursprünglichen Plan zurück: Ab Blatt 8 wieder Halbfiguren von einer deutlich jüngeren Hand (1480er bis eventuell 1490er Jahre). Diese gibt die Konturen viel kräftiger und mit dunklerer Tinte als die Maler der ersten Kampagne. Sie verwendet kräftigeres Kolorit, ist differenzierter in der Plastizität der Gewänder und Gesichter und legt mehr Wert auf ausgewogene Proportionen und gleichmäßige Verteilung der Figuren. Auf Blatt 11 kam es dann wieder zur Beschränkung auf unfigürliche Medaillons. Die jüngste dort eingetragene Person ist Wolfgang (* 1494), Sohn Philipps des Aufrichtigen, während dessen Bruder Otto Heinrich (*/† 1496) schon von einer jüngeren flüchtigen Hand nachgetragen wurde. Etwa 1494–96 dürfte deshalb dieses unfigürliche Stück fertiggestellt worden sein, der letzte illustrierte Teil kurz vorher.

Ausgeführt sind Porträts von Garibald und Arnulf von Metz bis zu den Kaisern Otto III. und Heinrich II. (IV. von Bayern) mit dessen Geschwistern sowie bis Eckard von Scheyern mit seinem Bruder, ferner von Otto I. von Bayern mit seinem Bruder bis hin zu Adolf, Rudolf II. und Ruprecht I. von der Pfalz, Ludwig V., Stephan II., Ludwig VI., Wilhelm I., Albrecht I. und Otto V. von Bayern, Heinrich XV. von Niederbayern sowie Heinrich XIV. und Otto IV. von Niederbayern.

Farben:

Rot, Braun, Grün, Altrosa, Blau, Braun (mehrerer Töne), Schwarz, Inkarnat, Gelb, Orange, Weißhöhungen bei Gewandfalten und Hautpartien.

Faksimile:

Karl von Rumpler: Bayerische Regenten-Tafel von Herzog Garibald I. (554) bis Kurfürst Otto Heinrich (1559). 2 Bde. [Faksimile und Kommentar]. Bamberg 1891.

Literatur:

Ludwig von Rockinger: Ueber ältere Arbeiten zur baierischen und pfälzischen Geschichte im geheimen Haus- und Staatsarchive. Bd. 2. München 1880 (Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften, III. Classe, Bd. XIV, Abtheilung I), S. 163–293, dort S. 167–172 Nr. 50 und 51; Victor Keller: Ritter Hans Ebran von Wildenberg, sein Leben und seine bayerische Chronik. Verhandlungen des historischen Vereins für Niederbayern 31 (1895), S. 85–141, dort S. 111–116; Roth (1905) S. XXXVIII f.; Peter Johanek: Ebran, Hans, von Wildenberg. In: 2VL 2 (1980), Sp. 307–312, dort Sp. 311; Wittelsbach und Bayern (1980) S. 26 f. Nr. 30 (Johannes Erichsen), Taf. 2 (B II 31 [rechts], B II 32 [links]), Taf. 3 (B II 33 [rechts], B II 34 [links]); Studt (1995) S. 343 f., 350; Von Kaisers Gnaden (2005) S. 39 Nr. 2.6 (Suzanne Bäumler) mit Abb. (B II 31).

Taf. 45.III: Inv.-Nr. B II 33. Stammbaum des Hauses Bayern mit Halbfiguren.

Taf. 45.IV: Inv.-Nr. B II 33 (Ausschnitt).

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Taf. 45.III.
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Taf. 45.IV.