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87. Medizin

Bearbeitet von Pia Rudolph

KdiH-Band 9

Die in der Stoffgruppe Medizin beschriebenen Handschriften lassen sich in zwei Kategorien unterteilen. Zum einen gibt es die medizinischen Texte, die auf astronomischen Berechnungen beruhen, wodurch die Behandlung des Patienten von den Gestirnen und Einflüssen des Makrokosmos vorgegeben wird (Iatromathematik; grundlegend: Müller-Jahncke [1985]). Hierzu gehören das ›Iatromathematische Hausbuch (Schürstab-Fassung)‹ (Nr. 87.1.), dessen verschiedene Textbausteine von Schnell (2019) untersucht wurden und das sich durchaus als Werk beschreiben lässt. Daneben existieren diverse medizinische Sammelhandschriften, die eine bislang unübersehbare Vielzahl an Texten und Textkombinationen kompilieren (Nr. 87.2.; grundlegend zu medizinischen Sammelhandschriften ohne Werkcharakter: Riha [1992]). Ebenfalls auf Kalenderberechnungen beruht das ›Regimen‹ von Heinrich Laufenberg (Nr. 87.3.).

Hiervon zu unterscheiden sind zum anderen die Handschriften und Werke, in denen keine Kalender vorausgehen: das ›Secretum secretorum‹ (Nr. 87.4.), frauenmedizinische Traktate (Nr. 87.5.; vgl. hierzu auch Nr. 87.3., da sich ein Kapitel aus Laufenbergs ›Regimen‹ dieser Thematik widmet) oder erneut medizinische Sammelhandschriften (Nr. 87.6.).

Alle medizinischen Sammelhandschriften und das ›Iatromathematische Hausbuch‹ beinhalten neben astrologisch-astronomischen Ausführungen vor allem Texte zur Prognostik und Diätetik, zum Aderlass, zur Pest (ein Kapitel zur Pest auch bei Laufenberg, Nr. 87.3.), zum Baden und zum Urin. Dabei werden oft Auszüge aus der ›Regel der Gesundheit‹ von Konrad von Eichstätt (Nr. 87.1., Nr. 87.1.12., Nr. 87.2.6., Nr. 87.2.21., Nr. 87.2.27.; Hagenmeyer [1995], insb. S. 177–179) oder dem ›Arzneibuch‹ von Ortolf von Baierland (Nr. 87.1., Nr. 87.2.24., Nr. 87.6.1.; ein teutsch puech machen [1993]) wiedergegeben. Da diese Werke im Rahmen der Sammelhandschrift zwar bebildert sein können, aber keine eigene ikonografische Tradition aufweisen, haben sie keine eigenen Untergruppen erhalten.

Es ist anzunehmen, dass die Rezipienten der hier behandelten medizinischen Handschriften Laien waren (nicht wie lange angenommen Wundärzte o. ä.) und dass »mit dem Wechsel der Sprache vom Lateinischen zum Deutschen auch eine Änderung des Rezeptionsraums (des Sitzes im Leben)« einhergeht (Riha [1994] S. 10). Ziel der Aneignung medizinischen Wissens war die Krankheitsvorbeugung und v. a. Vermeidung der Pest (zur Medizin für Nichtmediziner: Riha [1994]).

In den Untergruppen Nr. 87.1.87.3. geben v. a. die astronomischen Berechnungen die Illustrierung vor, so dass häufig die Tierkreiszeichen, Monatsarbeiten oder sieben Planeten abgebildet sind (vgl. auch Stoffgruppen 11. Astrologie/Astronomie und 65. Kalender). Es liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Planeten jene Menschen regieren, die unter ihrem Stern geboren worden sind (sog. Planetenkinder), was bedeutet, dass sie Einfluss auf ihren Charakter und ihre Gesundheit nehmen. Hinzu kommt die häufige Darstellung von wichtigen medizinischen Praktiken und Anwendungen (Diätetik) wie dem Aderlass, dem Schröpfen und dem Baden. Für die körperliche Gesundheit spielte nach damaliger Vorstellung zudem die Ernährung, Bewegung und eine maßvolle Lebensführung eine entscheidende Rolle, weshalb das Essen und Trinken sowie sportliche Aktivitäten (z. B. Ringen) Gegenstand der Texte sind und illustriert wurden. Auf die bedeutende Viersäftelehre oder Humoralpathologie, in der der Mensch auf seinen in ihm dominanten Körpersaft hin behandelt wurde (Blut, schwarze oder gelbe Galle, Schleim), verweisen die Darstellungen der vier Temperamente (auch Komplexionen genannt). Der Sanguiniker hat nach dieser Theorie, die auf die antiken Ärzte Hippokrates und Galen zurückgeführt wird, einen Überschuss an Blut, der Melancholiker an schwarzer Galle, der Choleriker an gelber Galle und der Phlegmatiker an Schleim. Die Körpersäfte waren nach Möglichkeit im Gleichgewicht zu halten, sonst drohte Krankheit. Das Temperament galt als über die Blut- oder Urinschau bestimmbar, wobei der Arzt die Farbe, die Konsistenz, den Geruch etc. des abgelassenen Bluts oder des frischen Urins zu beurteilen hatte (Rudolph [2020] S. 44, 176–181; zu weiteren Anwendungsgebieten der Blut- und Harnschau: Riha [1994] S. 12f., 31–33).

In allen Untergruppen anzutreffende medizinische Illustrationen sind der Aderlassmann, der Zodiakusmann, die Urinschau und der Aderlass. Letztere Behandlungsformen wurden durch den Mediziner, Wundarzt oder Bader durchgeführt. Die Unterscheidung zwischen dem an der Universität ausgebildeten Arzt, dem Wundarzt und dem Bader ist anhand der Darstellungen nicht möglich, so dass in den Beschreibungen auf eine genauere Festlegung verzichtet und immer vom Arzt oder Mediziner gesprochen wird. Im Bild können sie durch verschiedene Attribute wie die rote Mütze (die sog. Cappa), einen langen Mantel und ein Uringlas gekennzeichnet werden.

Die Bildformel des Aderlassmanns entwickelte sich nach Lenhardt (1983, S. 186f.) erst im 14. Jahrhundert, »in einer Zeit also, in der die Trennung der handwerklichen und universitären Medizin vollzogen wird, in der aber auch das Bild als Informationsträger neu entdeckt wird« (Lenhardt [1983] S. 187). Auf einem nackten oder nur wenig bedeckten Mann, der die Gliedmaßen von sich streckt, werden die zu öffnenden Stellen angezeigt: Ausgehend von roten Punkten am Körper können rote Linien zu Beischriften führen. Es existieren daneben diverse Aderlassmänner ohne Beschriftung oder mit numerischer oder alphabetischer Kennzeichnung (Maier [2003]).

Der Zodiakusmann (auch Homo signorum oder Tierkreiszeichenmann; siehe Mueller [2009] S. 334–340), auf dessen Körper die Tierkreiszeichen zu sehen sind, verdeutlicht die Vorstellung, dass der Kosmos Auswirkung auf die körperliche Gesundheit hat. Da die Tierkreiszeichen neben den verschiedenen Gliedmaßen auch inneren Organen zugeordnet wurden, ist der Körper des Zodiakusmanns manchmal geöffnet zu sehen. In einigen Abbildungen befinden sich die Tierkreiszeichen nicht auf dem Körper, sondern daneben. Von den Darstellungen der Tierkreiszeichen verlaufen dann Linien zum Körper. Weil hiermit gekennzeichnet wird, wann nicht zur Ader gelassen oder sonst medizinisch behandelt werden darf, nämlich wenn der Mond im jeweiligen Tierkreiszeichen steht, ist hier von einer Kombination aus Aderlass- und Zodiakusmann zu sprechen (Mueller [2009] S. 340–342; Kruse [2007, S. 38–45] beschreibt als Sonderform außerdem den Pestlassmann, wenn der Aderlassmann einem Pesttraktat beigegeben ist).

Wird der Aderlass selbst dargestellt, geschieht das auf anschauliche Weise: Häufig ist es eine Frau, die auf einem Stuhl sitzt und der von einem Arzt (oder Bader) eine Vene am Arm mithilfe einer Fliete geöffnet wird. Um Druck zu erzeugen, hält die Patientin einen Lassstab in der Hand, das Blut wird in einem Becher aufgefangen (Kruse [2007] S. 40). Das Blut kann für eine Blutschau verwendet werden, die allerdings selten abgebildet wird (Nr. 87.1.4., Nr. 87.2.11., Nr. 87.3.1.).

Die im Unterschied dazu häufig dargestellte Uroskopie wird durchgeführt, indem der Arzt ein Glas mit Harn gegen das Licht hält und so Farbe und Konsistenz analysieren kann. Diese Tätigkeit ist besonders signifikant für die Darstellung des Berufs des Mediziners (Riha [1994] S. 17f.). Die erste Abbildung einer Urinschau im deutschsprachigen Kontext (1. Viertel 14. Jahrhundert) und damit die älteste mit einem Bild illustrierte medizinische Handschrift in dieser Stoffgruppe ist das sog. Breslauer Arzneibuch (Nr. 87.6.5.).

Es gibt eine Vielzahl sehr heterogener medizinischer Sammelhandschriften. Sie sind typischerweise durch einen Aderlassmann oder etwas seltener durch einen Zodiakusmann markiert. Neben diesen Bildtypen sind auch andere Abbildungen zu finden, wie der Wundenmann, chirurgische Instrumente, Personifikationen oder Heilige (sie sollten den Besitzer oder die Besitzerin vor Krankheiten schützen). Zu Harntraktaten in medizinischen Sammelhandschriften können diagrammartige Gläser abgebildet sein. Da diese bis zu 21 verschiedene Urinfarben beschreiben, können auch entsprechend viele Gläser skizziert werden, die häufig unkoloriert blieben. Diese Gläser sind meist direkt neben dem Text dargestellt, können aber ebenso gemeinsam in einem Urinfarbkreis (siehe auch Nr. 87.5.3.), einer Harnschautafel oder sogar an einem Baum angeordnet sein.

Weil die Texte in solchen Sammelhandschriften praktisch unerforscht sind und nur selten einzelne Textbausteine benannt werden können, werden sie nicht in einzelnen Katalogisiaten aufgenommen, sondern hier nur aufgelistet. Die Abbildungen werden (mit Ausnahme von – auch aufwendiger gestalteten – Tabellen, Diagrammen und Zeichnungen zu Sonnen- oder Mondphasen) angegeben; wenn der zum Bild gehörende Text identifiziert ist, wird dieser benannt:

Es sei an dieser Stelle noch auf die Stoffgruppe 49a. Hausbücher verwiesen. Auch dort sind in Handschriften, die allerdings nicht primär zu medizinischen Zwecken entstanden sind, Darstellungen aus dem Bereich der Medizin zu finden, wie Aderlassmänner (Nr. 49a.2.1.) oder chirurgische Szenen (Nr. 49a.5.1., Nr. 49a.5.2.). Auch die Stoffgruppe 70. Kräuterbücher ist als medizinischer Komplex zu betrachten, da Kräuter auf ihre heilbringende Wirkung hin beschrieben wurden.

Literatur zu den Illustrationen:

MacKinney (1965); Gross (1993); Jones (1999).

Siehe auch:
  • Nr. 11. Astrologie/Astronomie
  • Nr. 49a. Hausbücher
  • Nr. 65. Kalender
  • Nr. 70. Kräuterbücher