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66.2. Stricker, ›Karl der Große‹

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 7

›Karl der Große‹ gehört mit 23 vollständigen und 19 fragmentarischen Handschriften zu den häufig überlieferten Werken epischer Literatur des Mittelalters. In der Neufassung der Ereignisse des Spanienfeldzuges, für die das ›Rolandslied‹ des Pfaffen Konrad die Hauptquelle bildete, werden vom Stricker einige Erzählmomente ergänzt, die die Person Karls deutlich akzentuieren. Zu Beginn wird die Geschichte um Karls Kindheit und Jugend erweitert, neu sind gleichfalls die Verheißung des römischen Reichs durch einen Engel sowie die Übergabe der wundertätigen Waffen, Horn, Schwert und Handschuh. Nach der Schlacht bei Roncevalles werden die Bestattung der Gefallenen und die Stiftung des Klosters St. Johannes hinzugefügt, so dass sich der narrative Schwerpunkt vermehrt auf die Person Karls des Großen verlagert und eine »romanhaft-biografische Legenden-Vita« entsteht (Ott [1994] S. 93). Die Umarbeitung entsprach offenbar den Erwartungen des Publikums, denn die umfangreiche Handschriftentradition setzt in unmittelbarer zeitlicher Nähe der mutmaßlichen Fertigstellung des Werkes im dritten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts ein, während die Überlieferung des ›Rolandslieds‹ in den folgenden Jahrzehnten versiegt.

Bebilderte Exemplare des Werkes sind erst aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts erhalten. Das St. Galler Manuskript und das Berliner Fragment (Nr. 66.2.4. und Nr. 66.2.1.) mit ihren auf poliertem Goldgrund angelegten Deckfarbenminiaturen gehören allerdings zu den prunkvollsten Manuskripten literarischer Werke deutscher Provenienz. In beiden Handschriften folgt Strickers ›Karl der Große‹ auf die ›Weltchronik‹ Rudolfs von Ems, so dass beide Exemplare zu einer Gruppe von fünf umfangreich illustrierten ›Weltchroniken‹ zu rechnen sind, die in Zürich oder der unmittelbaren Umgebung entstanden (Kessler [1997] S. 70). In dieser Textgemeinschaft, die beide Male mit einem einheitlich konzipierten Bildzyklus ausgestattet wurde, präsentiert sich das Werk ›Karl der Große‹ gewissermaßen als »reichsgeschichtliche Fortsetzung der heilsgeschichtlich-universalhistorischen Reimchronik« (Ott [1994] S. 93). Als ähnlich bedeutungsvoller Überlieferungskontext dürfte die Verknüpfung zwischen Strickers ›Karl‹ und Wolframs von Eschenbach ›Willehalm‹ (Stoffgruppe 141.) aufzufassen sein, die bereits für die Mitte des 13. Jahrhunderts belegt ist (St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 857; in dieser Handschrift befinden sich mehrere Randzeichnungen von Hörnern, die sich auf den Text des ›Karl‹ beziehen, siehe Nr. 96.0.2.) und sich zu Beginn des 15. Jahrhunderts im Hamburger Manuskript (Nr. 66.2.3.) wiederfindet.

Die bildliche Ausstattung der Manuskripte setzt durchaus unterschiedliche Schwerpunkte. Die Miniaturen der St. Galler Handschrift, deren Bildfolge zumindest über Zwischenstücke den Malern des unvollständig erhaltenen Manuskripts in Berlin bekannt gewesen sein dürfte, legen großen Wert auf die Polarisierung zwischen christlichem Glauben und Heidentum sowie auf die Visualisierung des göttlichen Beistands auf Seiten der Christen, sei es durch Wunderszenen oder himmlische Erscheinungen. Gegenüber dem ›Rolandslied‹ hat sich mit der Veränderung des narrativen Fokus auch der Schwerpunkt der Bildfolge gewandelt, so tritt etwa Bischof Turpin seltener und weniger prominent auf, seine Rolle als geistlicher Würdenträger und Spender der Sakramente scheint zurückgenommen (vgl. hingegen Nr. 66.1.1., 5r, 53v). Eine neuerliche Verschiebung des Bildinteresses ist im 15. Jahrhundert an der Illustrationsfolge aus der Werkstatt Diebold Laubers zu beobachten (Nr. 66.2.2.). Zum einen wirft die Bildserie die Frage auf, ob eventuell auf ältere Illustrationszyklen zum ›Rolandslied‹ zurückgegriffen werden konnte, da sich die Themenauswahl der illustrierten Szenen insbesondere zu Beginn ähnelt. Zum anderen fällt auf, dass die Szenen göttlichen Eingreifens deutlich reduziert sind und die Kontrastierung von Christen und Heiden sich auf Unterschiede in Waffen und Kleidung beschränkt, während ein großes Interesse an der Präsentation modischer Accessoires zu bemerken ist. Gegenüber dieser eleganten Überformung der Ereignisse tritt die zeitpolitische Aktualisierung des Werks durch die als ganzseitige Miniatur vorgeschaltete Darstellung Karls des Großen in der Hamburger Abschrift hervor, die nur wenige Jahrzehnte zuvor im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des Konstanzer Konzils (1414–1418) entstanden sein dürfte (Nr. 66.2.3.). Aufgrund charakteristischer Gesichtszüge ist die Figur zudem als Kryptoporträt König Sigismunds zu interpretieren, so dass der römisch-deutsche König Sigismund, der maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des Konzils in Konstanz hatte, in die Nachfolge Karls gestellt und als Retter des christlichen Glaubens präsentiert wird.

Schließlich sei auf eine hier nicht eigens vorgestellte Kompilation von Strickers ›Karl dem Großen‹ verwiesen, die in eine ›Weltchronik‹ Heinrichs von München integriert wurde (Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1.5.2 Aug. 2o, 178r–220r, Vv 450–12196). Die Illustrationen des bereits im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts hergestellten Textes wurden zum großen Teil erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ausgeführt. Unter ihnen zeigt die erste, über drei Spalten reichende querformatige Darstellung in einem Bildfeld eine schrittweise Bekehrung der Heiden, von der Anbetung eines Götzen über die Zerstörung eines heidnischen Idols durch Roland bis zur Taufe dreier Kinder durch Bischof Turpin (Lejeune/Stiennon [1966] Bd. 1, S. 261, Bd. 2, Abb. 211).

Editionen:

Karl der Große von dem Stricker. Hrsg. von Karl Bartsch. Quedlinburg/Leipzig 1857 (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur 35) (Nachdruck mit einem Nachwort von Dieter Kartschoke. Berlin 1965). – Stefanie Weber: Strickers Karl der Große. Analyse der Überlieferungsgeschichte und Edition des Textes auf Grundlage von C, Hamburg 2010 (Schriften zur Mediävistik 18), S. 271–586. – Strickers Karl der Große. Hrsg. von Johannes Singer. Berlin/Boston 2016 (Deutsche Texte des Mittelalters 96).

Literatur zu den Illustrationen:

Rita Lejeune / Jacques Stiennon: Die Rolandssage in der mittelalterlichen Kunst, 2 Bde. Brüssel 1966, Bd. 1, S. 247–266, Bd. 2, Abb. 200–236. – Weltchronik / Rudolf von Ems; Karl der Große / Der Stricker. Faksimile der Handschrift Ms. germ. fol. 623 der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz Berlin, Kommentarband von Wolfgang Irtenkauf. Stuttgart 1980, S. 25 f., 42–55. – Weltchronik / Rudolf von Ems; Karl der Große / Der Stricker. Text und Kommentare von Edmund Theil. Bozen 1986, S. 76–81. – Ellen J. Beer: Die Buchkunst der Handschrift 302 der Vadiana. In: Rudolf von Ems, Weltchronik. Der Stricker, Karl der Große. Kommentarband zum Faksimile der Handschrift 302 der Kantonsbibliothek (Vadiana) St. Gallen. Luzern 1987, S. 61–125. – Norbert H. Ott: Reich und Stadt. Karl der Große in deutschsprachigen Bilderhandschriften. In: Karl der Große als vielberufener Vorfahr. Sein Bild in der Kunst der Fürsten, Kirchen und Städte. Hrsg. von Lieselotte E. Saurma-Jeltsch. Sigmaringen 1994, S. 87–112, hier S. 89–102.