KdiH

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70.1.1. Debrecen, Tiszántúli Református Egyházkerületi és Kollégiumi Nagykönyvtár, R 459

Bearbeitet von Bernhard Schnell

KdiH-Band 7

Datierung:

2. Viertel 15. Jahrhundert.

Lokalisierung:

Mittelbairischer Sprachraum.

Besitzgeschichte:

Die Handschrift war im Besitz von Sámuel Kazay (1711–1797), Büchersammler und Apotheker von Debrecen, und trug in seinem Bücherverzeichnis (›Theca‹) die Signatur 50. Kazay, der mehrmals in seinen Schriften auf diese herausragende Handschrift einging, gab keinen Hinweis auf ihre Herkunft. 1794 verkaufte er seine Bibliothek (von etwa 2500 Büchern zusammen mit seiner Antiquitätensammlung) an das Reformierte Kollegium in Debrecen.

Inhalt: ›Debrecener Pflanzen- und Tierbuch‹
1. S. 1–4 Ps.-Musa, ›De herba vettonica‹, deutsch
2. S. 5–86 Ps.-Apuleius, ›Herbarium‹, deutsch
3. S. 86 Gewichtseinheiten, deutsch
4. S. 87–88 ›Liber de taxone‹, deutsch
5. S. 88–96 Sextus Placidus, ›Liber medicinae ex animalibus‹, deutsch
6. S. 97 Pflanzenabbildung Rossminze [?] (Raum für den Text ausgespart)
Nachträge (17. Jahrhundert): drei medizinische Rezepte
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, I + 45 + I erhaltene Blätter (97 von einer Hand des 17. Jahrhunderts gezählte Seiten; die Rückseite von Bl. 49 weist keine Seitenzählung auf; die Seiten 15 + 16, 33 + 34, 35 + 36, 77 + 78 fehlen), 275 × 203 mm, kalligraphische (professionell wirkende) Bastarda, ein Schreiber, einspaltig, bis zu 39 Zeilen; ungefähr zeitgleich wurden von anderer Hand Nachträge, zwei Kommentare zu den Abbildungen (S. 21 und 72) und sieben deutsche Pflanzenbezeichnungen (S. 30, 48, 52, 57, 58, 79 und 80) hinzugefügt, zwei weitere Pflanzennamen (S. 17 und 73) stammen wohl erst aus dem 16. /17. Jahrhundert, ebenso finden sich Gebrauchsspuren aus dem 17. Jahrhundert (u. a. S. 2 und 3 Nota bene und weitere, kaum lesbare Nachträge mit Bleistift); von einer Hand des 17. Jahrhunderts stammt nach Vizkelety ([s. u. Literatur] S. 121) auch eine französische Eintragung über den Bestand der Pflanzenabbildungen: summa 75 sortes de herbes peintes. Item 48 faute (S. 86); die Bräunung und Verschmutzung von 1r legt nahe, dass die Handschrift ursprünglich ohne Einband aufbewahrt wurde, Bl. 49 diente dabei wohl zunächst als rückwärtiges Schutzblatt, der vordere und rückwärtige Spiegel sowie das Vorsatz- und das Nachsatzblatt wurden bei der Restaurierung der Handschrift 1979 neu eingefügt, dabei hat man die Spiegel und das alte Vorsatz- und Nachsatzblatt entfernt, sie werden aber im Katalog von Vizkelety angeführt (Vizkelety S. 121); auf S. 1 markiert eine achtzeilige Initiale in Deckfarbenmalerei (Blau, Grün, Rot, Gold) in einem viereckigen Feld den Beginn des Pflanzen- und Tierbuchs; der Kapitelbeginn wird im Pflanzenbuch durch einfache zwei- bis dreizeilige blaue Lombarden markiert, im Tierbuch wechseln sich dagegen rote und blaue Lombarden ab; rote Kapitelüberschriften und Paragraphenzeichen gliedern den Text.

Schreibsprache:

mittelbairisch (eventuell in einer Übergangszone vom Mittel- zum Südbairischen).

II. Bildausstattung:

Insgesamt 81 kolorierte Federzeichnungen. Dabei entfallen 68 auf die Illustration von Pflanzen und 13 auf die von Tieren. ›De herba vettonica‹ (S. 1–4) enthält nur ein Kapitel und somit auch nur eine Abbildung. Vom Haupttext, dem ›Herbarium‹ des Ps.-Apuleius (S. 5–86), der ursprünglich 131 Kapitel umfasste, gibt es in der Handschrift auf Grund von Textlücken und Blattverlust heute nur noch 112 Kapitel. Davon sind 66 illustriert, während bei 46 Kapiteln die Abbildungen fehlen; der Platz dafür wurde stets ausgespart. Möglicherweise waren die Pflanzen dem Zeichner unbekannt, oder ihm waren keine geeigneten Vorlagen greifbar. Beim Tierbuch, dem ›Liber de taxone‹ (ein Kapitel, S. 87–88) und beim ›Liber medicinae ex animalibus‹ (zwölf Kapitel, S. 88–96), sind alle Kapitel erhalten, sie sind alle illustriert. Im Anschluss an das Tierbuch folgt auf einem eigenen Blatt die Abbildung einer Pflanze (S. 97), deren Identifizierung und Funktion einige Rätsel aufwirft. Die Zeichnung, die zweifellos vom Maler des Pflanzenbuchs stammt, weist keinen Text auf; es gibt auch keine erläuternde Bildbeischrift. Wie bei allen anderen Bildern der Handschrift zeigt diese Abbildung eine seitlich zum Rand hin verschobene Anordnung, um so Raum für den intendierten Text zu schaffen. Von allen Spekulationen scheint die am wahrscheinlichsten zu sein, dass hier das Menta-Kapitel folgen sollte, das in den Textzeugen der lateinische Vorlage an das Tierbuch angehängt wurde. Die Abbildung könnte durchaus eine Menta-Art, etwa die Rossminze, zeigen. In späterer Zeit hat dann jemand das unbeschriftete Blatt wohl als Schutzblatt verwendet; Nachträge wurden eingetragen, und es wurde sogar ein großer Teil des Pergaments herausgeschnitten. Die Pflanzen- und Tierabbildungen dürften alle von einem Maler stammen. Obwohl sich die beiden Motive grundlegend unterscheiden, gibt es ein Indiz für diese Annahme. Die letzte Illustration zum Ps.-Apuleius, die Darstellung der Mandragora (S. 85), zeigt sowohl eine Pflanze als auch ein Tier, da nach der damaligen Vorstellung die Wurzel der giftigen Mandragora mit Hilfe eines Hundes herausgezogen werden konnte. Der Vergleich mit der Abbildung des Hundes im Sextus Placidus (S. 96) zeigt eindeutig, dass es sich um denselben Maler handelt.

Format und Anordnung:

Spaltenbreite, meist halbseitig hohe, ungerahmte Zeichnungen, die zuweilen am Kopf und am Fuß des Blattes über den Schriftspiegel hinausragen. In der Mehrzahl der Fälle sind die Zeichnungen in der linken Spalte, während der Text rechts steht. Allerdings wurden die roten Kapitelüberschriften überwiegend über die volle Breite des Schriftraums geschrieben, wodurch sie auch die Funktion einer Bildbeischrift haben. Bei längeren Kapiteln ließ der Schreiber zunächst für die Abbildung ausreichend Platz (häufig um die 19 Zeilen) und schrieb dann über den gesamten Schriftspiegel. Die einzelnen Kapitel sind durch Leerräume deutlich voneinander getrennt.

Im Gegensatz zu den Pflanzenbildern sind die Tierbilder etwas kleiner. Die ebenfalls ungerahmten Bilder sind in der Regel spaltenbreit und nehmen in der Höhe höchstes ein Drittel eines Blattes ein. Auch ihre Anordnung weicht von der der Pflanzen ab. Sie stehen nicht neben dem Text frei im Raum, sondern werden an drei Seiten vom Text umgeben.

Bildaufbau und -ausführung, Bildthemen:

Pflanzenabbildungen: Im Vergleich zu der üblichen Ps.-Apuleius-Tradition fällt zunächst auf, dass sich die Illustrationen ausschließlich auf die Pflanzen konzentrieren. Figürliches bzw. szenisches Beiwerk fehlt gänzlich. Selbst die so typischen Schlangenabbildungen, die anzeigen, dass die betreffende Heilpflanze bei giftigen Schlangenbissen eingesetzt werden soll, wurden nicht übernommen, obwohl diese in den Textzeugen der Interpolationes-Bearbeitung noch gelegentlich vorhanden sind. Eine Ausnahme stellt nur die typische Abbildung der Mandragora (Alraune, Kap. A 131) dar, wo stets eine Pflanze in Form eines Menschen zusammen mit einem Hund dargestellt wird.

Seit der Antike werden Pflanzen im medizinischen Schrifttum nahezu ausnahmslos als Habitusbild, d. h. als Gesamtdarstellung zusammen mit ihren Wurzeln abgebildet, da sich die Heilkräfte der Pflanze, ihre vires und virtutes, in allen Teilen finden können. Von den insgesamt 66 Pflanzenabbildungen werden nur drei ohne ihre Wurzeln dargestellt: Rosmarin (Kap. A 80) und Sadebaum (Kap. A 86). Beide werden als Bäume abgebildet, auf einem Bodenstück, das mit Gras bewachsen ist. Als Baum sah der Zeichner auch den egpawm (Kap. A 99) und hat daher nur einen Stamm gezeichnet, ohne Wurzel, aber auch ohne Bodenstreifen. Vermutlich war er sich bei seiner Einordnung nicht sicher.

Die Illustration ist ein fester Bestandteil im Konzept der deutschen Bearbeitung. Dabei stehen Text und Bild in einer engen Wechselbeziehung. Zumindest in der Geschichte der deutschen Kräuterbücher tritt hier dieser enge Bezug von Text und Begleitbild zum ersten Mal auf. Dieser wird durch die Querverweise erreicht, die der Übersetzer entgegen seinen Vorlagen einfügte. Bereits gleich zu Beginn, in Ps.-Musa, bei der knappen Beschreibung des Aussehens der Vettonica, wird auf die Abbildung verwiesen, sie sei ëchrig an des halmes höch, in solher gestalt als vor gemalt ist (M Dc). Ganz ähnlich verfährt er im Arthemisia-Kapitel (A 10.D): Und sein ir gestalt drey, als sy hernach verschriben und entworfen sein und im Papaver-Kapitel (A 53.D): Papaver silvaticum, der sein menigerlai gestalt, davon ich hie nicht sage, sunder von der, die hie entworffen ist. Schließlich verweist er an zwei Stellen jeweils in der Überschrift sehr präzise auf den Ort der Abbildung, so bei Kap. A 76: Das nachgemalt chrawt haizzet senecion (A 76.T). Da der Schreiber auf dem linken Blattspiegel beginnt, musste die Abbildung zwangsweise nach dem Text (auf dem folgenden Blatt) angebracht werden. Allerdings wurde hier die Illustration nicht ausgeführt. Kap. A 111 ist der einzige Fall, wo die Pflanze oberhalb des Textes, auf der rechten Spalte abgebildet wurde: Das obgemalt kraut haisset lupina montana, zu dewtsch wolfs wurczen (A 111.T) ist daher ganz wörtlich zu nehmen.

Um eine möglichst korrekte Verknüpfung von Text und Bild zu erreichen, wurden an einigen Stellen Pflanzennamen angebracht. Es handelt sich dabei um sechs mit blauer Tinte geschriebene deutsche Pflanzennamen, die in der linken Spalte über den Abbildungen stehen und wohl vom Schreiber bzw. von demjenigen, der die blauen Lombarden zum Kapitelbeginn anbrachte, stammen. Sie kommen in den Kap. 32, 71, 77, 86, 122 und 124 vor, in denen ein deutscher Name fehlt; in Kap. A 77 gibt es zwar einen deutschen Pflanzennamen (stainwurcz), er wurde aber vermutlich als zu vage oder nicht zutreffend eingestuft und deshalb durch farm erläutert bzw. korrigiert.

Der entscheidende Unterschied bei den Abbildungen zwischen der Debrecener Handschrift und der lateinischen Ps.-Apuleius-Überlieferung, speziell denen der Textvorlagen, liegt jedoch darin, dass die Debrecener Abbildungen überaus ›naturgetreu‹ gezeichnet sind. Von den insgesamt 66 vorhandenen Abbildungen lässt sich bei allen problemlos das botanische Genus bestimmen; die noch genauere Zuordnung zu einer Species gelingt allerdings nicht immer. Offensichtlich wollte der Auftraggeber bzw. Bearbeiter der Handschrift die traditionellen Ps.-Apuleius-Illustrationen, die zu seiner Zeit wohl völlig realitätsfern geworden waren, nicht mehr übernehmen und hat sie daher durch neue ersetzt.

Wie sehr sich die Illustrationen der Debrecener Handschrift von der restlichen Ps.-Apuleius-Tradition unterscheiden, zeigt sich exemplarisch an der Abbildung des Alpenveilchens im Kap. A 17. Zwar gibt es leider keinen Katalog aller Alpenveilchen-Abbildungen der Ps.-Apuleius-Handschriften, aber Grape-Albers ([s. u. Literatur] S. 16–19) hat in ihrer grundlegenden Studie immerhin acht typische Vertreter aus dem 10. bis 15. Jahrhundert abgebildet und interpretiert.

Zunächst sind die typischen Merkmale des Alpenveilchens in Erinnerung zu rufen: eine runde bewurzelte Knolle; sie allein wird medizinisch verwendet; unverzweigte Blüten- und Blattstiele; eine an der Basis verwachsene, rosarote Blütenkrone, die aus fünf freien Zipfeln besteht, die zurückgeschlagen sind; immergrüne, silbrig gefleckte, nieren- bis herzförmige, lang gestielte Laubblätter, die auf der Unterseite die Farbe der Blüte haben. Alle Merkmale des Alpenveilchens sind bei der Debrecener Illustration im Gegensatz zu den bei Grape-Albers abgebildeten Bildern eindeutig erkennbar. Nur die Knolle ist etwas zu rund geraten. Der Buchmaler unterscheidet auch deutlich zwischen der mit den typischen hellen Flecken versehenen Oberseite und der Unterseite der Blätter. Eine zeitgleiche Hand, wohl die des Illustrators, weist auf diesen Unterschied eigens hin: das bech der pleter.

Eine große Schwierigkeit jeglicher Pflanzendarstellung ist die Veränderung der Pflanzen im Laufe der Jahreszeiten. Der Buchmaler ist sich überraschenderweise dieses grundsätzlichen Problems bewusst und löst es bei der Darstellung der Euphorbia cyparissias, der Zypressen-Wolfsmilch (Kap. A 109), auf folgende Weise: Rechts wird der Stängel der Pflanze mit der Blüte (von Mai bis September) und mit vielen Blättern gezeigt. Von unten her fallen die Blätter mit der Zeit ab, und an diesen Stellen bilden sich daraus Achselsprossen. Der Stängel verändert sich daher so, wie er links erscheint. Dass der Zeichner ganz bewusst hier zwei verschiedene Stadien in der Entwicklung der Pflanze abbildet, belegt die Bildbeschriftung der beiden Zweige: in dem herbst allso (linker Zweig) und in der plüed allso (rechter Zweig). Dies ist ein erneuter eindeutiger Beweis dafür, dass der Illustrator ein guter Naturbeobachter war, der ein fundiertes Wissen über das Wesen der Pflanze besaß.

Deutlich ist das Bemühen des Malers zu erkennen, jeder Pflanze eine möglichst symmetrische Form zu verleihen und die Blätter spiegelbildlich am Stängel anzuordnen; trotz dieser stilisierenden Vereinfachung ist der natürliche Habitus dennoch genau wiedergegeben. Das Bestreben des Zeichners, die Pflanze in ihren verschiedenen Entwicklungsphasen darzustellen, ist typisch für ihn. Es gibt eine ganze Reihe von Illustrationen, in der die Veränderungen des Wachstums betont werden. Weitere Beispiele sind etwa die Abbildung der Roten Zaunrübe oder des Schlafmohns. Die Darstellung des Schlafmohns (A 53) ist auf die wichtigsten Merkmale der Pflanze reduziert: links die typisch spitze eiförmige Knospe, in der Mitte die rote Blüte und rechts die sich daraus entwickelnden runden Fruchtkapseln sowie die charakteristischen, fiederschnittigen Laubblätter. Noch mehrere Stadien zeigt das Bild der Roten Zaunrübe (A 67). Die weißen kelchartigen Blüten sind zum Teil noch geschlossen, teilweise sind sie bereits geöffnet und zeigen ihre typische fünfzählige Form (Juni bis September). Die Beeren werden im unreifen Zustand grün sowie rot in ihrer Reife (August bis September) gezeigt. Botanisch exakt werden auch die Blätter (kurz gestielt mit fünfeckigem Umriss) sowie die spiralförmig gedrehten Ranken wiedergegeben; auch die rübenartige Wurzel entspricht der Pflanze.

Die verschiedenen Wachstumsphasen einer Pflanze will der Illustrator wohl auch bei seiner Abbildung des Rosmarinum (Kap. A 80) vor Augen führen. Völlig singulär wird hier eine Pflanze in drei Abbildungen dargestellt: zunächst als immergrüner buschiger Strauch mit Stamm ohne Blüten (die Darstellung als kleiner Baum ist dabei sehr übertrieben); daneben eine Detailzeichnung von einem Zweig, die Blätter sind schmal lineal und gegenständig sitzend, der Zweig ist bewurzelt und weist eine Blüte mit glockigem Kelch und blassblauer Blütenkrone auf; schließlich gibt es ein drittes Bild: ein ebenfalls bewurzelter Zweig mit fünf Zweiglein, an deren Spitze je eine Blütenkrone sitzt. Ob der Zeichner andeuten wollte, dass man Rosmarin über Stecklinge vegetativ vermehren konnte? Oder wollte er auch hier verschiedene Entwicklungsphasen der Pflanze dokumentieren? Wie dem auch sei, der Buchmaler hat sich auch hier als ein exzellenter ›Botaniker‹ erwiesen.

Vergleicht man Text und Bild, so zeigt sich, dass Zeichner und Übersetzer eine unterschiedliche botanische Kompetenz aufwiesen. Diese lässt sich vor allem daran erkennen, wie beide mit Unterarten verfuhren, etwa bei Artemisia. Im Ps.-Apuleius werden drei verschiedene Arten vorgestellt und nacheinander behandelt: Artemisia monoclonos (Kap. A 10), Artemisia tagantes (Kap. A 11) und Artemisia leptofilos (Kap. A 12). In der Übersetzung werden die drei Arten zwar angeführt, aber der Leser erfährt nicht, worin sie sich unterscheiden. Vermutlich war dies dem Übersetzer selbst nicht klar, und er übertrug seine Vorlage nur vage. Der Illustrator dagegen legte sich fest: Bei den beiden ersten Unterarten fertigte er entgegen seinem Usus eine ganzseitige Abbildung von Artemisia vulgaris an, die für beide Arten stehen kann, und führte bei der dritten nur den unterschiedlichen Blütenstamm als signifikanten Unterschied an; auf die Ausführung der Blätter, die allen drei Arten gemeinsam sind, hat er dagegen verzichtet. Das gleiche Vorgehen zeigt sich bei Lapatium (Kap. A 13) und Lapatium acutum (Kap. A 33). Vom Text her kann man glauben, es handele sich bei der zweiten Erwähnung um eine Dublette, da es keine nennenswerten Unterschiede, weder in den lateinischen noch in den deutschen Benennungen gibt. Demgegenüber hat der Illustrator sehr eigenständig zwei verschiedene Arten abgebildet und mit seiner Arbeit dazu beigetragen, dass das Bild gleichberechtigt neben den Text tritt.

Das Bestreben des Malers, sich bei seinen Illustrationen auf die Darstellung der distinktiven Merkmale der einzelnen Pflanzen zu konzentrieren und diese so ›naturgetreu‹ wie möglich darzustellen, haben also dazu geführt, dass die Genauigkeit seiner Abbildungen ein im deutschsprachigen Raum vorher noch nicht erreichtes Maß erzielte. Sein Ziel war es indes nicht, wie bei einem Stillleben eine individuelle Pflanze so exakt wie möglich abzubilden, sondern dem Betrachter die Pflanzenart vor Augen führen. Er wollte kein Spiegelbild der Natur geben, sondern eine ›wissenschaftliche‹ Pflanzenabzeichnung. Zu dieser abstrahierenden Darstellungsform gehörte es dann auch, die verschiedenen Wachstumsphasen der Pflanze miteinzubringen. Ganz traditionell ist dagegen noch, dass er versuchte, jeder Pflanze eine möglichst symmetrische Form zu geben. Durch die Bilder wird das Wissen um die Pflanzen grundlegend erweitert. Sie ersetzen zum einen augenfällig die nur sporadischen Hinweise zu ihrem Aussehen im Text. Zum anderen geben sie ein vortreffliches Kriterium für ihre Identifizierung ab, welche die im Text vorkommenden Pflanzenbezeichnungen wegen ihrer Vielfalt und fehlenden Verbindlichkeit nicht zu leisten im Stande sind.

Tierabbildungen: Hier gilt wie bei den Pflanzenabbildungen, dass sich die Illustrationen ausschließlich auf die Tiere konzentrieren. Figürliches bzw. szenisches Beiwerk fehlt auch hier gänzlich. Die Zeichnungen werden ganz und gar in den Fellfarben der Tiere, einheitlich in Grau oder Braun (Hirsch, Fuchs, Steinbock), koloriert. Im Großen und Ganzen sind die dreizehn Tiere ziemlich realistisch wiedergegeben. Vor allem die Darstellung des Dachses ist nach Kádár »von einer kleinen Verzeichnung abgesehen, geradezu vollkommen« (Kádár [s. u. Literatur] S. 38). Nur die weniger realistische Darstellung des Stiers mit seinen gekrümmten Hörnern fällt etwas aus dem Rahmen.

Vorlage(n) der Pflanzenabbildungen: Während sich für den Text des Debrecener Pflanzenbuchs die Vorlage (für mittelalterliche Verhältnisse) relativ präzise bestimmen lässt, ist eine auch nur vage Eingrenzung der Bildvorlage nicht greifbar. Auszuschließen ist allerdings, dass der Buchmaler die Pflanzenabbildungen aus der Ps.-Apuleius-Tradition nahm. Vielmehr dürfte er auf die in seiner Zeit besonders hoch im Kurs stehende ›Tractatus de herbis‹-Überlieferung zurückgegriffen haben. Die Herbarienkompilation, mit dem ›Circa instans‹ als Leittext und Teilen aus dem ›Macer‹ und dem ›Herbarium‹ des Ps.-Apuleius, entstand gegen Ende des 13. Jahrhunderts in Italien. Dem Werk war, vermutlich wegen der zahlreichen Illustrationen, ein großer Erfolg beschieden, und es wurde in den folgenden Jahrhunderten im ganzen Abendland verbreitet. Als ältester erhaltener Textzeuge gilt die Handschrift Egerton 747 der British Library in London. Im Gegensatz zu den meisten Ps.-Apuleius-Abbildungen sind hier die Illustrationen so naturähnlich, dass sie sich fast alle relativ einfach bestimmen lassen (Collins [2000] S. 239–298). Noch steht ein systematischer Vergleich zwischen der Bildtradition des ›Tractatus de herbis‹ und den Debrecener Pflanzendarstellungen aus. Beim jetzigen Forschungsstand lässt sich daher nicht entscheiden, ob der Debrecener Zeichner nach einer Vorlage bzw. mehreren verschiedenen Vorlagen aus dem Umkreis des ›Tractatus de Herbis‹ oder nach der Natur arbeitete oder aber (was am wahrscheinlichsten erscheint) beide Möglichkeiten miteinander kombinierte, als er den ihm vorgegebenen Text illustrierte. Das sehr aufwendige Verfahren, für die Ps.-Apuleius-Übersetzung Bilder aus einem ganz anderem Text auszuwählen, diese auf ihre Naturnähe zu prüfen und sie gegebenenfalls abzuändern, könnte die Ursache dafür gewesen sein, dass er mit seiner Arbeit nicht fertig wurde.

Vorlage der Tierabbildungen: Völlig im Dunkeln liegt die Bestimmung der Vorlage für die Tierbilder. Von den Tieren ist vor allem die Darstellung des Elefanten noch am besten dokumentiert. Grape-Albers hat dreizehn Abbildungen publiziert (bes. S. 30–33, Abb. 61–73), von denen zehn aus der Ps.-Apuleius-Tradition stammen; sie zeigen eine große »Variationsbreite zwischen relativer Naturnähe und fabeltierartiger Naturferne« (S. 30b).

Diese Darstellungen hat der Debrecener Illustrator sicher nicht für seine Abbildung verwendet, dafür sind seine viel zu naturgetreu. Ob er nach der Natur, nach sehr guten naturgetreuen Vorlagen oder aus einer Kombination von beiden Möglichkeiten verfuhr, lässt sich wie bei den Pflanzendarstellungen nicht entscheiden.

Farben:

Zu den typischen Merkmalen einer Pflanze gehört u. a. ihr Blütenstand, insbesondere die Blütenfarbe. Sie stellt eine wichtige Bestimmungshilfe dar. Die Farbgebung ist durch die Natur vorgegeben: Weiß, Gelb, Rot, Braun, Lila, Blau (Blassblau, Dunkelblau), Grün sowie Grau (bei den Wurzeln). Bei den Tieren: Grau und Braun.

Literatur:

András Vizkelety: Beschreibendes Verzeichnis der alt-deutschen Handschriften in ungarischen Bibliotheken. Bd. 2. Wiesbaden 1973, S. 119–121, Nr. 44 (mit Abb. von S. 57). – Zoltán Kádár / András Vizkelety: Zu den Pflanzen- und Tierdarstellungen in einem mittelalterlichen deutschen Kodex zu Debrecen (Ungarn). In: Pharmaziehistorischer Kongreß Budapest 1981. I. Vorträge zur ungarischen Pharmaziegeschichte. II. Vorträge in Zusammenfassungen. Stuttgart 1963 (Veröffentlichungen der Internationalen Gesellschaft für Geschichte der Pharmazie N. F. 23), S. 35–40; Heide Grape-Albers: Spätantike Bilder aus der Welt des Arztes. Medizinische Bilderhandschriften der Spätantike und ihre mittelalterliche Überlieferung. Wiesbaden 1977.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Taf. XLV: S. 21. Alpenveilchen.

Taf. XLVI: S. 95. Stier / Elefant.

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Taf. XLV.
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Taf. XLVI.