63.2.1. Pommersfelden, Gräflich von Schönborn’sche Bibliothek, Cod. 215
Bearbeitet von Ulrike Bodemann
KdiH-Band 7
Mitte 14. Jahrhundert (vermutlich zwischen 1323 und 1356).
Kastl/Oberpfalz.
Entstanden im Benediktinerkloster St. Peter in Kastl/Oberpfalz zur Zeit und vermutlich im Auftrag von Abt Hermann Lubens (nachgewiesen 1323–1356; Initiator der deutschsprachigen Kastler Reimchronik München, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Kl Kastl Lit. 1): Eintrag 1r Hunc librum iussit scribere dominus Hermannus abbas [...], dazu Darstellungen eines Benediktinerabts (1r, 64r, 69r, 162v und 166v), mehrfach zusammen mit dem Apostel Petrus (1r[?], 162v, 166v); 1r ist die originale Bildinschrift zu Abt Hermann von Kastl ebenso wie die Fortsetzung des Schreibereintrags getilgt. Verbleib zwischen der Aufhebung des Klosters 1566 und dem Eintritt in die Schönbornsche Sammlung zwischen 1732 und 1830 (
1. | 1r–116r |
Haimo von Auxerre, ›Enarrationes in duodecim prophetas minores‹
Am Schluss O Doxa melos domino, griechisch/lateinisch (auch in der ebenfalls aus Kastl stammenden Handschrift London, British Library, Arundel 339, 67v)
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2. | 119r–144r | Hrabanus Maurus, ›Commentaria in Cantica canticorum‹ |
3. | 144v | Versus super Ave Maria, Anne leticia Joachim dulcedo Maria ... |
4. | 145v–153r | Hugo von St. Victor, ›Chronica‹, stammbaumförmige Schemazeichnung, lateinisch beschriftet |
5. | 153v–154r | Petrus Pictaviensis, ›Tres gradus fidelium‹, Schemazeichnung eines siebenarmigen Leuchters mit Erläuterung |
6. | 154v–159v | Petrus Pictaviensis, ›Compendium historiae in genealogia Christi‹, stammbaumförmige Schemazeichnung der Genealogie Jesu |
7. | 160r–v | ›Concordantia articulorum fidei apostolorum cum prophetis‹ |
8. | 161r–162v | ›Anticlaudianus illustratus‹, textierte Bildtafeln |
9. | 163r–166v | Die Fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht |
10. | 167r | Das Jüngste Gericht, lateinisch |
11. | 167v–168r | ›Martyrologium illustratum‹, textierte Bildtafeln |
12. | 169r–171v | ›Compendium Anticlaudiani‹ |
13. | 172r–196r | Alanus ab Insulis, ›Anticlaudianus‹ |
Pergament, 196 Blätter, ca. 310–314 × 235–238 mm; Buchblock aus vier ungefähr zeitgleich entstandenen Faszikeln mehrerer Schreiber (Lagenbestimmung:
lateinisch, 163r–166v nordostbairisch.
Faszikel I: 1r historisierte Blattgoldinitiale über zwanzig Zeilen: Die Heiligen Dorothea und Petrus (?, ohne Attribute) flankieren einen nimbierten Benediktinerabt mit Stab und Buch; des weiteren 18 Fleuronné-Initialen mit rot-blau gespaltenen Buchstabenkörpern, geometrischen, vegetabilen oder Phantasiewesen darstellenden Aussparungen, mehrfach mit figürlichen Binnendarstellungen in Camaieu: 1v König und Jüngling mit Bocksläufen, 47v Prophet (zu Textbeginn Ionam phophetam), 64r kniender Abt mit Stab (dazu spätere Beischrift hermannus abbas), 69r Abt mit Buch. Faszikel II: 145v–153r Schemazeichnung aus Linien und Kreisen, ockergelb anlaviert; 153v Federzeichnung in Schwarz und Rot: siebenarmiger Leuchter, über dessen Armen umgekehrte Ölkannen, zwischen ihnen Löschbecher; 154v–159v Schemazeichnung aus Linien und Kreisen, ockergelb anlaviert (vgl.
Text 9 (163r–166v) besteht aus ganzseitig gerahmten Tafeln, durch Querbalken horizontal geteilt in jeweils ca. ein Drittel der Gesamthöhe umfassende Textfelder oben und ca. zwei Drittel der Gesamthöhe umfassende Bildfelder unten; die obere Rahmenleiste jedes Doppelbildes mit iterierendem Dekor (Ranken, um einen Stab gerolltes Band, Leporello, Dreipass). Jedes Textfeld und analog dazu jedes Bildfeld vertikal durch Längsbalken (die die Querteilung der Seite nicht überschneiden) aufgeteilt. Durch die kreuzweise gestaltete Seitenteilung entstehen einerseits Spalten für jeweils ein Text-Bild-Ensemble, andererseits fortlaufende Register für den Verstext oben (jeweils sechs abgesetzte Verse) und die Darstellung der Fünfzehn Zeichen unten (in der letzten Tafel ist das Textfeld leer, darunter die Darstellung eines vor Apostel Petrus knienden Abtes [Hermann]), 167r ganzseitig gerahmte Bildtafel (Weltgericht, lateinisch beschriftet).
Alle Bildfelder zu den Fünfzehn Zeichen (außer 6. Zeichen) mit Bogenabschluss oben, in den Zwickeln Dreipassdekor. Strenger Szenenaufbau der Einzeldarstellungen durch Aufteilung der Bildflächen in Zonen: oben unter dem Bogenabschluss meist der Himmel (in unterschiedlichster Ausgestaltung, bemerkenswert der windmühlenartige Ball bei 3., 4. und 5. Zeichen, Himmel fehlt bei 11. und 12. Zeichen), unten auf vorderster Bildebene Bodenstück (8., 9., 13., 14., 15. Zeichen) mit hinabgefallenen Sternen (4. Zeichen) oder bis zur Bildmitte aufragender figurenreicher Szenerie: klagende (1.), sich verbergende (2.) oder tot zusammenkauernde (7.) Menschen, Meer (3. Zeichen in Draufsicht, mit dem herabgestürzten Mond zwischen Fischen), Tierversammlung (Vielfalt ähnlich Arche Noah, nur jeweils ein Tier [5.]), Aufeinanderstoßen zweier Reiterheere (6.), Höllenschlund (10., 11.), Engel (12. Zeichen). Der farbig gefüllte Hintergrund der Zone zwischen Basis und Himmel wird separat seitlich von Binnenleisten gerahmt, die somit pfeilerartig den Himmel mit dem Boden verbinden.
Niederösterreichische Einflüsse – charakteristisch für die Buchmalerei um 1350 im Raum Nürnberg/Regensburg – sieht
163r 1. Zeichen: Es regnet Blut; 2. Zeichen: Verfinsterung der Sonne; 163v 3. Zeichen: Mond wird blutrot und fällt vom Himmel; 4. Zeichen: Verfinsterung und Fall der Sterne; 164r 5. Zeichen: Versammlung der Tiere; 6. Zeichen: Erdbeben und Krieg; 164v 7. Zeichen: Sterben alles Lebendigen und Wachsen der Bäume mit den Wurzeln in den Himmel; 8. Zeichen: Erheben des Meeres; 165r 9. Zeichen: Flüsse fließen zum Himmel; 10. Zeichen: Teufel kommen aus dem Höllenschlund; 165v 11. Zeichen: Winde und Zurückjagen der Teufel in die Hölle; 12. Zeichen: Engel knien vor Christus; 166r 13. Zeichen: Chaos der Sterne und Feuer vom Orient zum Okzident; 14. Zeichen: Wolken fallen hernieder; 166v 15. Zeichen: Himmel und Erde brennen; Abt Hermann kniet vor dem Apostel Petrus; 167r Jüngstes Gericht.
Der Kontext – auf Memorierbarkeit gerichtete Aufbereitung anspruchsvoller geistlicher Texte mittels Bildtafeln – deutet auf Verwendung des Ensembles in klösterlichem Unterricht (
Abbildungen (Bildindex der Kunst und Architektur): 163r-167r